1882, Briefe 185–366
234. An Lou von Salomé in Zürich-Riesbach
Naumburg a/Saale Pfingsten <28. Mai 1882>
Meine liebe Freundin,
das haben Sie mir recht nach dem Herzen (und auch nach den Augen) geschrieben! Ja, ich glaube an Sie: helfen Sie mir, daß ich immer an mich selber glaube und unserm Wahlspruch und Ihnen Ehre mache
„uns vom Halben zu entwöhnen
„und im Ganzen Guten Schönen
„resolut zu leben“ —
Mein letzter Plan, Sie zu sprechen, ist dieser:
Ich will nach Berlin reisen, in der Zeit, wo Sie in Berlin sein werden, und von da mich sofort in einen der schönen tiefen Wälder zurückziehn, welche in der Nachbarschaft Berlins sind — nahe genug, um uns treffen zu können, wann wir, wann Sie wollen. Berlin selber ist für mich eine Unmöglichkeit. Also: im „Grunewald“ bleibe ich und warte die ganze Zeit ab, welche Sie nachher in Stibbe zubringen. Dann stehe ich Ihnen für alle weitern Absichten zu Gebote: vielleicht finde ich irgend ein würdiges Förster- oder Pfarrhaus im Walde selber, wo Sie noch ein Paar Tage in meiner Nähe leben können. Denn, aufrichtig, ich wünschte sehr, so bald als möglich mit Ihnen einmal ganz allein zu sein. Solche Einsame, wie ich, müssen sich auch an die Menschen, die ihnen die liebsten sind, erst langsam gewöhnen: seien Sie hierin gegen mich nachsichtig oder vielmehr ein wenig entgegenkommend! Gefällt es Ihnen aber, weiter zu reisen, so finden wir nicht weit von Naumburg eine andre Waldeinsiedelei (in der Nachbarschaft eines Altenburgschen Schlosses; dahin könnte ich, wenn Sie wollen, meine Schwester bestellen. (So lange noch alle Sommerpläne in der Luft hängen, thue ich gut, bei den Meinigen ein vollkommnes Stillschweigen aufrecht zu halten — nicht aus Lust an Heimlichkeiten, sondern aus „Kenntniß der Menschen“) Meine liebe Freundin Lou, über „Freunde“ und den Freund Rée insonderheit will ich mündlich mich erklären: ich weiß sehr wohl, was ich sage, wenn ich ihn für einen besseren Freund halte als ich es bin und sein kann. —
Oh der schlechte Photograph! Und doch: was für ein lieblicher Schattenriß sitzt da auf dem Leiterwägelchen! — Den Herbst verbringen wir, denke ich, schon in Wien? Zu welcher Aufführung wollen Sie in Bayreuth sein? Rée hat eine Karte zur ersten, so viel ich weiß. — Nach Bayreuth suchen wir noch einen Zwischenort zu Gunsten Ihrer Gesundheit? Von meiner soll heute nicht die Rede sein.
Von Herzen Ihr F. N.
Man behauptet, ich sei in meinem Leben nicht so heiter gewesen als jetzt. Ich vertraue meinem Schicksale. —