1882, Briefe 185–366
357. An Malwida von Meysenbug in Rom (Entwurf)
<Rapallo, Mitte Dezember 1882>
Wie ging es doch zu? — Aber als ich Ihren Brief gelesen hatte, brach ich in Thränen aus. — Doch ich möchte heute nicht von mir sprechen.
Sie wollten wissen, wie ich über Frl Salomé denke.
M<eine> Schwester betrachtet L<ou> als ein giftiges Gewürm, welches man um jeden Preis vernichten müsse und handelt auch danach. Dies ist mir ein ganz übertriebener Gesichtspunkt und mir durchaus zuwider: im Gegentheil, ich möchte ihr von Herzen gern nützlich sein und ihr Bestes im jedem Sinn fördern. Ob ich das kann, ob ich es bisher gekonnt habe, ist eine Frage, auf die ich nicht antworten möchte: bemüht darum habe ich mich redlich. Für meine Interessen ist sie bis jetzt wenig zugänglich gewesen; und ich selber bin ihr (wie mir scheint) eher etwas überflüssig als interessant: das Zeichen eines guten Geschmacks!
Es ist Vieles an ihr anders als bei Ihnen — und auch bei mir: es drückt sich naiv aus und ist in dieser Naivetät für einen Menschen-Beobachter voller Reiz. Ihre Klugheit ist außerordentlich, und Rée meint, Lou und ich seien die klügsten Wesen — woraus Sie sehen daß R<ée> ein Schmeichler ist.
Ich bitte Sie aber aus ganzem Herzen Ihre Empfindung einer zärtlichen Theilnahme, welche Sie für Frl. S<alomé> gehabt haben, ihr zu erhalten — ja mehr zu thun. Aber worin dies mehr besteht, — darüber kann ich nicht schreiben.
Die Familie R<ée> nimmt sich in der angenehmsten Weise des jungen Mädchens an, und Paul ist auch hier wieder das Muster der Delikatesse und Fürsorglichkeit.
Meine Gesundheit erlaubt mir den Norden noch nicht, ja ich bin Europas müde, ich brauche ewig blauen Himmel, um das Leben zu ertragen.
„Der Tausendkünstler der Selbstüberwindung“ — so nannte mich kürzlich Rohde. An meinem Selbst gibt es schrecklich Viel zu überwinden.
Das Wort aus einer meiner Schriften, welches Sie citiren — ich kenne es nicht mehr —
Meine liebe verehrte Freundin, Sie erwarteten gewiß, etwas Anderes von mir zu hören. Und wenn ich Sie sehe, will ich anders reden. Aber schreiben? Nein.