1874, Briefe 339–411
391. An Erwin Rohde in Hamburg
<Basel, 26. September 1874>
Liebster Freund, die alte Wittib mahnt mich an aus ihrem Ofenwinkel, Du möchtest ihr doch den Hausschlüssel wiedergeben, welchen Du mit auf Reisen genommen hast.
Heute, endlich! giebt es die letzte Stunde vor den Ferien, und aus der Schule geht’s fort auf den Bahnhof, von da auf den Rigi, mit Romundt und Baumgartner zusammen — und dort soll eine Kur mit viel Aufwand von Milch und Bergluft versucht werden.
Ich schlief die Nacht wenig und käute einige Stunden lang eine ganz thörichte Sache in mir herum und konnte sie nicht los werden, ob ich gleich mich auslachte. Sterbliche Menschen! Einer meiner 4 Aeschylus-Krüppel hat sich hinterdrein entpuppt als Tapezierer, er ist 30 Jahr und hat das Griechische im 29 ten angefangen.
Der letzte Correcturbogen wird heute erwartet. Der arme Overbeck dagegen ist an die Scholle gebunden und kann nicht mit, weil es bis zum 5 ten October noch 8 Bogen zu corrigiren giebt. Sterbliche Menschen!
Hinterdrein haben wir Dich und uns bejammert, dass Kiel und Basel so sonderbar unter dem Zeichen des Scorpion zusammenkommen mussten. Wenn Du nur nicht ein allzu dunkles Bild mitgenommen hast! Die Temperatur ist in unserem Hause im Durchschnitt um einen Grad glücklicher; während wir diesmal so recht der verfluchten Fuchsischen Wendung nachlebten: gequält geniessend“.
Ach guter Freund, ich möchte gerne irgend wo hinaus und sei’s an den Wänden empor. Rechne ich jetzt meine Freunde noch hinweg, so wird mir unsäglich grau und grässlich zu Muthe. Gott sei Dank, dass ich Euch habe, und dich! liebster Freund! und dich!
Dein treuer
F. N.