1874, Briefe 339–411
360. An Carl Fuchs in Berlin
Basel 28 April 1874.
Ein längerer Brief, lieb und werther Herr Doctor, soll Ihnen ad oculos demonstriren, wie es mir mit meinen oculis geht, nach deren Befinden Sie Sich so theilnehmend erkundigen; und noch mehr scheint es mir endlich an der Zeit zu sein, Ihnen etwas ausführlicher und ausdrücklicher zu sagen, wie ich, in dem letzten Jahre Ihrer sehr viel, mit manchem Wechsel der Empfindungen, mit Hoffnung und Bangen bisweilen, gedacht habe, immer aber getreu des guten Glaubens und Vertrauens, dass Sie die seltne Kraft besitzen Sich selbst zu helfen: womit freilich auch gesagt ist, dass solchen Naturen auch gar nicht anders geholfen werden kann. Erwarten Sie also auch von Freunden nichts als ein theilnahmevolles Zuschauen Ihres „Ausringens und Emporringens“ (Straussisch zu reden), erwarten Sie ja nicht Rathschläge, Aufforderungen, Zurufe, mit denen Ihnen nicht genützt werden kann: so sehr man aus der Ferne einmal und öfter sich versucht fühlt, Ihnen die Hand recht herzlich hülfreich entgegenzustrecken. Neulich zum Beispiel fiel mir ein: warum räth denn Niemand dem Dr. Fuchs, seine mannichfaltigen kleineren Abhandlungen, die bis jetzt getrennt und dazu in Fetzen publicirt und, weil in Musikblättern, nicht einmal recht publicirt wurden, schnellstens zusammen zu drucken? Ich dachte mir, es müsste Sie erheitern den Leuten einmal eine vorläufige Probe Ihrer philosophischen, theologischen musikalischen, schriftstellerischen Begabungsfülle zu geben: ganz vorläufig, ohne sich mit der Redaktion irgend welche Mühe zu machen, ganz nebenbei, nur um einmal den Bann der Musikblätter zu durchbrechen und sich selbst eine kleine Ermuthigung zu machen. Ich dachte an Ihren Aufsatz über Lotze, für und gegen Schopenhauer, über Renan, zu Grillparzer, Schatzgräberversuche und kenne wahrscheinlich nicht Alles, was Sie bei dieser Gelegenheit mit in diese lanx satura aufnehmen können. Aber wie gesagt, was kann ich rathen! Wenn Sie sich nicht schon selbst diesen kleinen Aderlass verordnet haben und ich Sie vielleicht nur an einen eignen Gedanken erinnere? Fast möchte ich’s glauben.
Übrigens wäre ich für eine solche Sammlung Ihrer Arbeiten Ihnen sehr dankbar, denn ich lerne immer von Ihnen: während es mir Überwindung kostet, eine Musikzeitung wirklich zu lesen und ich immer mit Betrübniss Ihren Namen und Ihre Gedanken mitten unter den unbegreiflich ungeschickten und gedankenarmen Schriftgelehrten des musik. Wochenblatts finde. Wir wollen schon später, nach ein paar Jahren, daran denken, wie wir uns für unsere Art „Kulturkampf“ (wie der verfluchte Ausdruck lautet) ein öffentliches Theater gründen — später, wenn wir ein paar Namen mehr haben und nicht mehr so blutwenige sind, wie gegenwärtig. Bis dahin muss jeder von uns kräftiglich allein kämpfen: ich habe mir durch meine 13 Unzeitgemässen, die ich hinter einander herausgebe, eine gute Waffe geschmiedet, die ich den Leuten um die Köpfe schlage, bis dabei etwas herauskommt. Ich wollte, Sie machten es ebenso und schafften alles, was von Negativem, Polemischem, Hassendem in Ihrer Natur ist, auf diesem Wege aus sich heraus, um dann später Ruhe zu haben und sich durch gar nichts mehr „zum Widerspruch verleiten zu lassen“. So rechne ich und getröste mich einer Zeit, wo alles Kämpfen, Ächzen und Krächzen abgethan sein wird; inzwischen aber „vorwärts mit strengem Fechten“, wie irgend ein alter brandenburger Markgraf in der Reformationszeit gesagt hat. Denn zuletzt leiden wir alle so tief und schmerzlich, dass man es eben nur im rüstigsten Kämpfen aushält, das Schwert in der Hand. Und da wir nichts für uns wollen und mit einem freudigen und guten Gewissen uns in den härtesten Strauss begeben können, so wollen wir uns zurufen „der Soldat allein ist der freie Mann“ und wer ein freier Mann sein, bleiben oder werden will, hat gar keine Wahl: „vorwärts mit strengem Fechten.“
Und so leben Sie wohl und muthig, als Waffen- Kriegs- und Siegsgenosse und denken Sie gerne
Ihres getreuen
Friedrich Nietzsche.