1874, Briefe 339–411
343. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Basel,> 1 Febr. <1874>
Meine geliebte Mutter
eben wird mir gesagt dass heute schon der erste Februar sei, ich glaube es immer noch nicht recht, mache mich aber daran, sofort an Dich zu schreiben, damit ich noch einigermassen zur rechten Zeit mit meinen Geburt<s>tagswünschen in Naumburg eintreffe. Nun wollen wir einmal zusehen, was dieses Jahr bringt: hoffentlich für Dich und damit auch für uns Gutes oder Erträgliches. Ich schreibe heute bei schlechter Verdauung und Übelkeit; so denke ich denn zuerst an den Leib und wünsche von Herzen dass es Dir mit der Gesundheit so fort ergehen möge wie es Dir bis dahin gegangen ist und dass Du nicht etwa das absurde Beispiel Deines Herrn Sohnes nachahmest, der viel zu früh zu laboriren angefangen hat und der bereits wie ein altes Männchen sich über jeden Tag freut, wo er nicht an Unverdaulichkeit und Schmerzen erinnert wird. Im Übrigen hast Du es in Naumburg so ruhig und angenehm, wie ich mich wieder Weihnachten überzeugte, dass mir auch da kein andrer Wunsch einfällt als „es möge Alles auch fernerhin beim Alten bleiben.“
Es hat mir Weihnachten so gut bei Dir gefallen, dass ich wirklich bereits in meinem Gemüthe die Möglichkeit erwogen habe, ob ich nicht vielleicht Ostern wiederkomme; vielleicht gelingt es Dir dann, mich wieder zu kuriren, durch Süppchen Spazierengehen und ein Pferdchen vielleicht. Denke einmal darüber nach; oder meinst Du, es sei vernünftig eine gute Kaltwasser-anstalt in meiner Nähe zu besuchen? Ich muss jedenfalls etwas thun, die Schwäche nimmt zu sehr überhand. Auch eine Fusswanderung möchte sehr vernünftig sein. Es wird mir wohl möglich sein, von der Anwesenheit bei dem Osterexamen mich einmal ausnahmsweise dispensiren zu lassen: so dass ich ungefähr 4 Wochen Ferien hätte. Ach, ich hätte so gern ein kleines Landgut: da hinge ich auf einige Zeit meine Professur an den Nagel. Nun bin ich 5 Jahre Professor; ich dächte es wäre bald genug. Wirklich, ich möchte es wie Gersdorff machen und Stoppelhopser werden.
Übrigens ruhe ich mich aus — was man so ausruhen nennt, eigentlich merke ich nichts davon. Das heisst, ich schreibe augenblicklich kein Buch. Von dem neuerscheinenden sind 4 Bogen gedruckt, es geht langsam. Die Augen sind öfters angegriffen.
Für unsre Lisbeth habe ich eine sehr hübsche Wohnung in meiner nächsten Nähe entdeckt: bei den vortrefflichen Hegars. Die haben zwei Häuser, das hintere Haus liegt in der Strasse in der bis jetzt Vischer-Heuslers wohnten: es ist das nächste Haus von dem Fenster meiner guten Stube aus: darin wohnt der junge Hegar mit seiner jungen allerliebsten Frau, einer Französin, vortreffliche Leute und gut eingerichtet. Da also wird unsre Lisbeth wohnen und Frau Hegar freut sich schon darauf.
Anbei folgt etwas aus den Waldhäusern. — Neulich haben wir den alten Dr. Heitz begraben: schickt Lisbeth vielleicht ein Condolenz-Zeichen an die arme Frau Doctor?
Das Befinden von Frau V<ischer->Heusler ist recht befriedigend, auch die alte Frau Vischer erregt keine Besorgniss mehr, ihr Übel ist ein langwieriger Magenkatarrh.
Sonst weiss ich nichts Neues. Ich habe ein grosses Bedürfniss mich etwas auszuruhen und zu erholen, und dann denke ich immer an Euch. Auch noch ein neues Amt hängt mir auf dem Rücken: für dieses und das nächste Jahr bin ich Dekan meiner Facultät. Ich hab’s satt.
Im Hause bin ich wieder gesteigert worden, so dass ich jetzt monatlich 47 frs. zahle (früher 40)
Nochmals: ich bin bei Dir mit treulichem Gedenken und herzlichen Wünschen.
Dein alter Sohn.