1875, Briefe 412–495
488. An Heinrich Romundt in Oldenburg
Basel den 26 September 1875.
Geliebter Freund, wie einem Genesenden wünsche ich Dir Glück. Du glaubst kaum, wie sehr ich mich über Deinen letzten Brief freuen musste: ebensosehr als mich Dein vorletzter, den ich in Steinabad erhielt, bekümmerte; ich antwortete nicht, weil ich doch nur Deinen Missmuth zu mehren fürchtete. Jetzt aber ist es etwas Anderes, da soll schnell geantwortet werden, um Dir zu sagen, dass wir mit Freude und Liebe an Dich denken und selber uns von unheimlichen Besorgnissen genesen fühlen, wenn wir Dich so gute frisch belebte Briefe schreiben sehen.
Es scheint, dass Du auf ganz ehrenvolle Weise in das Lehrerwesen hineingerathen bist; eine Reihe von Jahren wirst Du freilich das Schwere dieses Berufs sehr hart empfinden: aber es ist gut so, wenn Du weise genug bist, es zugleich als eine Läuterung anzusehen. Ich sollte übrigens schon jetzt meinen, dass Du über Deine Befähigung zum Lehrer nicht mehr so desperat denkst, wie Du hier dachtest.
Hier hat sich mancherlei verändert. Overbeck ist, frisch und auf das Schönste wiederhergestellt, hier eingetroffen. Zufällig kam zu gleicher Zeit auf der anderen Bahn Rohde an, mit dem es nun freilich eine andre Bewandniss hat. Er ist sehr schwer durch einen complicirten Liebeshandel betroffen und wird nicht so leicht durch Wassertrinken wie Overbeck curirt werden. —
A. Baumgartner ist nun bald erlöst, inzwischen hatte er mancherlei durchzumachen, unter anderem stürzte er gefährlich mit seinem schönen Pferde, kam selbst davon, musste aber sein Pferd sofort erschiessen. Er wird vom November an meine frühere Wohnung in der Baumannshöhle beziehn.
Inzwischen, nämlich von Juli an, habe ich eine neue Wohnung bezogen und mir selber vollständig eingerichtet, Spahlenthorweg 48, in einem neuen Hause; wo ich die ganze erste Etage und einen Theil der zweiten habe: in summa 6 Zimmer und dann Küche Keller Boden; auch ein gutes Dienstmädchen ist angeschafft. Hier hause ich denn mit meiner Schwester zusammen. Mein Gesundheits-Zustand machte eine so radicale Veränderung nöthig. Nur durch eine neue Lebensweise kann ich wieder auf einen grünen Zweig kommen. Ich fühle mich unsäglich besser daran als bisher, Du solltest mich nur in meinem Arbeitszimmer sitzen sehen, um vor unseren Einrichtungs-Talenten Achtung zu bekommen.
Ich habe einen Cyclus von Vorlesungen für 7 Jahre begonnen, jetzt im Winter lese ich daraus „religiöse Alterthümer der Griechen“. Es sind lauter neue Collegien; die nehmen mich denn auch ganz in Anspruch. Unzeitgemässe Betrachtungen erwarte nicht, das ist mein Rath. Mich ekelt vor allem Veröffentlichen! — Es ist zwar inzwischen etwas fast fertig geworden, nicht „die Philologen“; aber wie gesagt, nichts für die Öffentlichkeit. Mihi scribo. Aliis vivo.
J. Burckhardt soll von mir gesagt haben „so einen Lehrer würden die Basler nicht wieder bekommen.“ Darauf bin ich stolz. —
In Bayreuth war ich nicht, durfte nicht hin, so krampfartig es mich jedesmal packte, wenn ich von dort her etwas hörte. Dafür waren, als meine Stellvertreter, Overbeck Rohde und Gersdorff dort zusammen.
Mit unsern Grüssen und Wünschen vereinigen die sich von Frau Baumgartner, welche ich gestern besuchte.
Lebe wohl und erhole Dich jetzt gut, um einem tapferen Winter entgegen zu gehen.
Treulich
der Deinige
Friedrich Nietzsche.