1875, Briefe 412–495
437. An Elisabeth Nietzsche in Cainsdorf
Basel Charfreitag 1875.<26. März>
Meine liebe Lisbeth, ich denke, dass mein Brief Dich gerade noch in Bayreuth erreicht; ich hätte eher schreiben sollen, denn ich war Dir sehr dankbar für die ausführlichen Mittheilungen. Und wie viel wirst Du mir erst zu erzählen haben, wenn wir uns einmal wieder sehen! Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen zu wissen, dass W<agner>s wieder gesund und zufrieden zurück gekommen sind; ist es wirklich wahr, dass noch in München und Berlin Concerte gegeben werden sollen? Es betrübt, ja empört mich fast dies zu hören, denn ich weiss, aus den Mannheimer Erinnerungen, was ein Concert für Wagner ist. Im musikal. Wochenblatte habe ich über das Wiener Concert gelesen, leider als Bericht eines Dr. Helm, unter dessen Helm kein Kopf ist, wie Fuchs sagt.
Der Sommer lässt sich für mich kurios an; also Du kommst nicht. Overbeck geht Anfang Mai nach Carlsbad, auf ärztliches Geheiss und bleibt das ganze Semester fort. Romundt verschwindet auch völlig, schon im April. Alle Abend-Einladungen habe ich hartnäckig ausgeschlagen, auch zu Bällen (nämlich Bäteli Burckhardt hat sich mit einem Strassburger verlobt, daher giebt es Bälle) und ich will überhaupt die ganze Abend-Geselligkeit für immer abschaffen. Der Sommer also ist recht seltsam.
Dafür habe ich jetzt drei Wochen lang den Besuch des treuen Gersdorff gehabt, wir leben auf das beste mit einander, heiter und ernst. Heute Nachmittag kommt, überraschend angemeldet, der Husar Adolf Baumgartner.
Meine Augen bedürfen, nach dem schweren Wintersemester, nothwendig des Ausruhens, sie schmerzen mich mitunter wieder. Auch mit dem Magen ist es wieder nichts. Ferien giebt es jetzt fast nicht. Immerhin, es wird schon gehen.
An Fräulein von Meysenbug habe ich einen Brief von Gersdorff und einen von mir beigelegt, sie bekommt auf einmal recht viel. Der Brief musste dreifach frankirt werden. Das erinnert mich, dass ich bei Deinem Bayreuther Briefen immer greulich nachzubezahlen habe (Drei Kreuzer ist nicht gleich einem Groschen)
Wie wünschte ich, wieder dich zu sprechen. Unserer Mutter habe ich geschrieben.
Dürers „Ritter Tod und Teufel“ ist, als Geschenk von Adolf Vischer bei mir eingekehrt. Ich war vor diesem Geschenk einmal da zu Mittag, ganz allein, es war sehr artig, selbst Thee wurde mir nach Tisch gekocht. Es sind gute, aber fanatisch fromme Leutchens, Adolf hält jetzt öffentlich im Vereinshaus Gebete. Wenn sie nur nicht eines Tags vor Gottseligkeit platzen!
Danke den allerliebsten Kindern für den Onkel-Nietzsche Toast, ich habe mich lächerlich darüber gefreut.
Und nun lebe wohl, hier läuft heute alle Welt in schwarzen Hosen herum, nur das Wetter nicht; als welches hell und gesund ist.
Sage Wagners die herzlichsten Grüsse, wir sprechen fast immer von ihnen — es sei denn dass wir von Kaspar Hauser reden; denn auch dies Thema steht wieder in Flammen.
Schreibe und melde immer Gutes
Deinem Bruder.