1875, Briefe 412–495
458. An Carl Fuchs in Hirschberg
<Basel,> Ende Juni 1875.
Ja lieber Herr Doktor, wenn es mir nur nicht gar so schlecht gienge! Was ist da zu sagen, was zu schreiben! Ich bin seit ein paar Monaten in einer verruchten Krisis eines chronischen Magenübels, das an den Grundfesten meines Daseins zu rütteln beginnt. Mit Mühe lebe ich aus einem Tag in den andern. Alle paar Wochen versuchen’s die Ärzte mit etwas Neuem, Höllenstein innerlich einnehmen, dann wieder große Dosen Chinin. Welche Kopfschmerzen — nein, ich will nicht davon erzählen, glauben Sie es mir nur, daß ich schwer lebe, und nicht unbedenklich, und daß bei solchem Zustande die Last meines Berufes, an sich groß genug, doppelt drückt.
Ich würde das wirklich nicht gesagt haben, wenn es nicht durchaus nöthig wäre, meine schier unbegreifliche Briefnachlässigkeit Ihnen nicht als sträflich, sondern als verzeihenswürdig hinzustellen. Ich kann wirklich, so wie es mir geht, keine Briefe schreiben. Denken Sie nur, daß die Ärzte mir nicht erlauben, diesen Sommer nach Bayreuth zu gehen! Ja was man bei einem solchen Gebot empfindet!
Meine litterarischen Fortsetzungen habe ich natürlich aufgegeben, ich bin nicht im Stande, eine Zeile daran zu schreiben. Das will nicht nur Gesundheit, sondern einen Überschuß von Gesundheit.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Composition. Was Sie mit dem Klavier-Instrument zusammenhängen! Mir ist so etwas noch nicht vorgekommen. So etwas kann übrigens nur ein wirklicher Klavierist spielen, nicht so ein verunglückter Orchestrist, wie ich bin. —
Nun wollte ich Ihnen die Photographie des kräftig und treu blickenden neuen Freundes, den Sie gefunden haben, zurückschicken, finde sie aber im Augenblick nicht. Also ein wenig später.
Ich las einmal in der Zeitung etwas von Ihren ehrenvollen Erlebnissen zu Weimar und hoffe, daß daraus Ihnen das Günstigste erwachse.
Und wie geht es in der häuslichen Welt? Ist Ihnen Glück zu wünschen und zugleich der Mutter und dem Kind? Mir ist hier zur Noth geworden, so garçonmäßig mit diesen elenden Gesundheitszuständen fortzuleben, deshalb ist meine Schwester zu mir gekommen, und vom August an giebt es da eine eigne Wirthschaft des Geschwisterpaars.
Wir beide grüßen Sie
von Herzen.
Friedrich Nietzsche.