1875, Briefe 412–495
433. An Franziska Nietzsche in Cainsdorf
Basel den 12 März 1875.
Meine gute liebe Mutter, es sind die letzten Wochen des Winterhalbjahrs, da drängt sich immer Vieles zusammen, besonders diesmal, wo ich zwei große neue Collegien zur Noth eben fertig zu bringen habe. Kurz ich wollte bitten Dich nicht zu wundern, daß ich wenig Briefe schreibe. Habe ich mir doch die Abend-Einladungen seit einigen Wochen grundsätzlich versagt und in jeder Woche vielleicht zwei bis viermal Absagebriefe schreiben müssen — das ist die einzige Gattung Briefe, welche ich noch pflege. Jetzt ist Gersdorff wieder bei mir, wir arbeiten augenblicklich in zwei Zimmern neben einander; er hilft mir wieder einmal, der alte treue Kamerad! Die Nachmittage des Sonnabend habe ich der Mehrzahl nach seit Neujahr in Lörrach verbracht, bei Frau Baumgartner-Köchlin, um Ihre Übersetzung meiner letzten Schrift zu revidiren, die nun bald bei einem Pariser Verleger erscheinen wird. Die Fastnachtstage war ich in Luzern, um dem Baseler Trommellärm aus dem Wege zu gehen und fand tiefen Schnee und herrliche Stille, es war mir zu Muthe wie bei einer großen Generalpause in lärmender Musik, man hörte ordentlich die Stille. Ich hatte dort Zeit, um Einiges auszudenken; Ostern hoffe ich meine Vierte Unzeitgemäße Betrachtung zu Ende zu bringen. Ein hiesiger Patrizier hat mich, im Hinblick auf einige Worte einer früheren Schrift, mit einem ächten Albrecht Dürer beschenkt: das Blatt ist das berühmte und ganz unschätzbare mit dem Namen „Ritter Tod und Teufel“. Siehst Du, was für schöne Dinge sich gelegentlich in die armselige Hütte Deines Sohnes verirren? Ich glaube, so drücken sich die Chinesen aus. —
Hier haben wir großen Verfassungsstreit; die alte Form der Regierung wird in ein paar Monaten zu Grabe getragen, neue Menschen kommen herauf, und Vieles dürfte sich ändern.
Von unsrer Lisbeth habe ich immer gute Nachrichten gehabt, sie ist jetzt auf ihrer hohen Schule.
Hoffentlich geht es Deiner Hand wieder gut. Ich danke Dir herzlich für Deinen Brief und sende Dir und den lieben Verwandten die freundlichsten Grüße.
Dein Fritz.