1875, Briefe 412–495
481. An Franz Overbeck in Bayreuth
<Steinabad, 11. August 1875>
Mein lieber Freund Overbeck, es giebt doch jedesmal, wenn jetzt ein Bayreuther Brief an mich ankommt, einen halbstündigen Krampf; immer ist mir’s als ob ich aufspringen, alles von mir werfen und zu Euch eilen müßte! Wie die wunderbarste Versuchung höre ich oft auf meinen Spaziergängen so etwas vom „flüssigen Golde“ jenes Orchesterklanges und komme mir dann immer grenzenlos beraubt vor. Es ist meine wirkliche einzige Tröstung, Euch dabei zu wissen; es hätte so leicht kommen können, daß Keiner von uns dort wäre, ja daß wir kaum wüßten, was für ein Glück dort für uns zu finden sei. Aber erzählen wirst Du mir, obwohl ich mir schon jetzt sehr albern mit meinen Fragen „wie klang denn das? und das?“ vorkomme.
Mit meiner Kur habe ich einige cura, es sei zunächst nicht viel dabei herausgekommen. Indessen habe ich wenigstens für eine fernerhin einzuhaltende Diät Gutes und Ersprießliches gelernt und einen einsichtsvollen Arzt kennen gelernt, der auf dem medizinischen Bereiche Revolutionär ist und an Stelle der Receptir-Bücher ein wissenschaftlich begründetes Kochbuch für die Hausküche stellt — ein ebenso einfacher als schwierig zu findender Gedanke, scheint mir.
Ich war immer für mich und gewann es nur selten über mich, irgend welche gemeinsame Spaziergänge zu machen. Doch habe ich die größte Brauerei Deutschlands, das Rothhaus im Schwarzwald, mit tiefen Granitfelsenkellern, besichtet, auch der Schweinezucht und Käserei Aufmerksamkeit geschenkt.
Unsern Freund Gersdorff ersuche ich herzlich, die beiliegenden Briefe zu addressiren, was vermittelst einer Nachfrage bei Frau Wagner möglich ist. Der eine ist an Frl. von Meysenbug, der andre an Ms. Schuré in Paris. Ich dachte diesen Namen unter den Fremden und Gästen vorzufinden. Die Briefe sind zu lesen, wenn Ihr Lust habt.
In den nächsten Tagen reise ich nach Hause, meine gute Schwester hat inzwischen meine Häuslichkeit eingerichtet und erwartet mich.
Allen Betrübten Linderung, allen Hoffenden Bestätigung von Herzen wünschend
treulich
der Deinige F N.