1875, Briefe 412–495
470. An Carl von Gersdorff in Hohenheim
Steinabad bei Bonndorf, badischer Schwarzwald. Montag. <19. Juli 1875>
Hier, geliebter Freund, die ersten Nachrichten aus dem Steinabade.
Ein trefflicher sorgfältiger Arzt gefunden! So hoffe ich wenigstens. Der Ort selbst ist ein ordentliches waldreiches schönes Schwarzwaldthal; es erinnert an Flims, doch hat es vor ihm ebene und mannigfache Waldspaziergänge voraus. (Sonst freilich war es dort viel schöner, aber der Wald rückt einem hier recht auf den Leib, das soll anerkannt werden, zumal der Augen wegen)
Mein Leiden ist erkannt als „chronischer Magenkatarrh mit bedeutender Erweiterung des Magens“. Diese Erweiterung bringt überdies Blutstauungen mit sich, wobei die Ernährung des Kopfes mit Blut auch zu kurz kommt. Zunächst soll der Magen also in seine Grenzen zurück; eine merkwürdige Diät (von den inhaltreichsten Sachen, nur dürfen sie kein Volumen haben, also fast nur Fleisch), dann Carlsbader Sprudelsalz usw. Auch Blutigel soll ich am Kopf bekommen.
Mein Befinden war bis jetzt schlecht, gestern lag ich mit Kopfschmerzen wieder einmal zu Bett, und heute bin ich schwach und matt.
Es ist doch eine ernsthafte Sache, und wieder war es hohe Zeit, wie damals bei der Zersplitterung des Brustbeins, dass ich mich an einen wirklichen Specialisten (und zwar einen ausserordentlich erfahrnen und bewährten) wendete. Die übermässige Säurebildung des Magens hängt vom Gehirn und den Nerven ab, scheint es; indirekt aber doch wohl von der Erweiterung, insofern diese eben Blutstauungen mit sich bringt. Die Erweiterung ist sehr bedeutend, überdies interessant, weil nach einer ungewöhnlichen Richtung (nach rechts). Nun fragt sich immer noch, was die Ursache dieser Erweiterung ist; gewöhnlich kommt diese von einer Verengung des Pylorus durch Geschwülste her. So! Nun weisst Du es genauer als irgend jemand, wie es steht. Einiges Hypothetische bleibt dabei, aber die Hauptsache, die Erweiterung steht ganz fest; wir haben die bisherigen Grenzen des Magens mit Punkten bezeichnet und wollen hoffen, dass er aus dieser Stellung vertrieben werden kann.
Es sind gegen 40 Menschen hier, für mich keine Gesellschaft.
Der erste Brief, der eintraf, war ein sehr herzlicher von Frau Wagner, mit dem Wunsche, ihr eine Bestellung von Strassburger Confitures und Bonbons zu machen. Wird besorgt! Ich habe schon an Frau Baumgartner deshalb geschrieben.
Ist Dir’s nicht möglich, einmal auf eine Sonnabend-Sonntag-Partie hierher zu kommen?
Die Eisenbahn geht bis Stühlingen, und von da sind es noch 3 Stunden zu gehen. Ich wenigstens ging sie, es fahren täglich auch zwei Posten, eine um 9 Uhr 20 Vormittags, eine andre Nachmittags um 3.
Da fällt mir aber doch ein, dass es für zwei Tage eine unmögliche Partie ist. Denn es hiesse ja her- und zurückreisen.
Wie lange dauert Euer Semester noch?
Ich treibe in aller Stille, um mich zu zerstreuen und etwas Nöthiges zu lernen „Handelsbetriebslehre und Entwicklung des Welthandels.“ Sag’s nicht weiter. Es soll mir nur eine Vorbereitung auf national-ökonom. Studien sein.
Es regnet hier fast immer, aber ich gehe im Regen durch den Wald, er ist immer schön und ruhig.
Deiner treu gedenkend
F N.