1876, Briefe 496–584
577. An Louise Ott in Paris
Sorrent près de Naples. Villa Rubinacci. 16 Dez. <1876>
Sie sind mir hoffentlich, meine verehrte Freundin, gut geblieben, ob ich Ihnen schon so lange Zeit jede Auskunft über meinen Aufenthalt und mein Ergehen schuldig blieb. Aber allen meinen Freunden ging es so wie Ihnen, ich konnte und durfte nicht anders — meine unerträglichen Kopfschmerzen, gegen welche ich kein Mittel bewährt gefunden habe, zwingen mich zu einer stillschweigenden Entsagung im freundschaftlichen Verkehre. Auch heute mache ich nur eine Ausnahme von der Regel und fürchte auch selbst dafür büssen zu müssen. Aber ich möchte gar zu gerne etwas von Ihnen hören, und vielleicht etwas Ausführliches — machen Sie mir dieses Weihnacht-Vergnügen. Es wird die französische Übersetzung meiner Schrift über R. Wagner unterwegs sein und hoffentlich zu Weihnachten bei Ihnen eintreffen — eine neue kleine Zudringlichkeit wie dieser Brief, um ein paar Zeilen — nein, mehrere Paar Zeilen von Ihnen zu erobern.
In unserem kleinen Kreise ist viel Nachdenken, Freundschaft, Aussinnen, Hoffen, kurz ein ganzes Theil Glück beisammen; dies empfinde ich trotz der vielen Schmerzen und der schlimmen Perspective meiner Gesundheit. Es ist vielleicht noch ein bischen Glück mehr in der Welt, aber einstweilen wünsche ich von Herzen allen Menschen, dass es ihnen ergehen möge wie uns, wie mir: sie dürfen dann schon zufrieden sein.
Neulich fiel mir ein, Sie, meine Freundin, möchten einen kleinen Roman schreiben und ihn mir zu lesen geben: man übersieht so schön, was man hat und was man vom Leben wünscht und wird gewiss dabei nicht unglücklicher — das ist die Wirkung der Kunst. Jedenfalls wird man weiser dabei. — Vielleicht ist es ein thörichter Rath: dann sagen Sie mir, dass Sie über mich gelacht haben; es macht mir Vergnügen dies zu hören.
Herzlich grüßend Ihr
Freund
F.N.