1876, Briefe 496–584
524. An Carl Fuchs in Hirschberg
Basel Mitte Mai 1876.
Wenn ich, mein lieber Herr Doktor, Ihnen erzählen müsste, was ich seit Weihnachten alles durchzumachen hatte und wie dünn das Lebensfädchen geworden war und wie ich es fast aufgegeben hatte, überhaupt noch diesen Bayreuther Sommer zu erleben — so würde ich Ihnen keine Freude und mir selbst eine unangenehme Erinnerung schaffen. Genug, es geht wieder besser, das heisst bei mir immer, hoffnungsreicher; mit der Hoffnung kommen alle alten Pläne und Vorhaben wieder, denen ich unlieber entsagen möchte als dem Leben: und mit den Plänen erscheinen dann auch die alten Genossen und Gleichgesinnten mir vor der Seele. Von Ihnen las ich neulich in Fritzschens Blatte: eine erfolgreiche Concertreise wurde berichtet, die Betheiligung an dem Altenburger Feste angezeigt. Nun glaube ich auch, dass wir uns in Bayreuth wiedersehen werden, denn ich dachte bei jener Concertreise an irgend einen Zusammenhang mit Bayreuth und werde mich wohl nicht getäuscht haben. Meine Schwester bot Ihnen eine Gelegenheit für die dritte Serie der Aufführungen, Sie nahmen nicht bestimmt an und deuteten auf Hoffnungen hin, die freilich umfänglicher waren als dass wir nicht von Herzen die Erfüllung derselben wünschen mussten. Dürften wir Sie jetzt bitten, uns einen Wink darüber zukommen zu lassen, wie es jetzt mit jenen Hoffnungen steht? Steht es gut mit ihnen, so wüssten wir schon eine passende Verwendung für das Ihnen angebotene Anrecht: namentlich würde ich gern meinem Freunde Overbeck auf diese Weise Zugang zu Bayreuth verschaffen.
Ich denke, wir dürfen über diesen Punct mit aller Freiheit zusammen reden? Also bitte, nur ein Wort, damit alles im Klaren ist!
Meine und meiner Schwester ergebenste Grüsse und Wünsche.
Mit freundschaftlichem Händedruck
der Ihrige
F Nietzsche