1876, Briefe 496–584
517. An Mathilde Trampedach in Genf
Genf den 11 April 1876.
Mein Fräulein
Sie schreiben heute Abend etwas für mich, ich will auch etwas für Sie schreiben. —
Nehmen Sie allen Muth Ihres Herzens zusammen, um vor der Frage nicht zu erschrecken, die ich hiermit an Sie richte: Wollen Sie meine Frau werden? Ich liebe Sie und mir ist es als ob Sie schon zu mir gehörten. Kein Wort über das Plötzliche meiner Neigung! Wenigstens ist keine Schuld dabei, es braucht also auch nichts entschuldigt zu werden. Aber was ich wissen möchte, ist ob Sie ebenso empfinden wie ich — dass wir uns überhaupt nicht fremd gewesen sind, keinen Augenblick! Glauben Sie nicht auch daran, dass in einer Verbindung jeder von uns freier und besser werde als er es vereinzelt werden könnte, also excelsior? Wollen Sie es wagen mit mir zusammen zu gehen, als mit einem, der recht herzlich nach Befreiung und Besserwerden strebt? Auf alle Pfade des Lebens und des Denkens?
Nun seien Sie freimüthig und halten Sie nichts zurück. Um diesen Brief und meine Anfrage weiss niemand als unser gemeinsamer Freund Herr von Senger. Ich reise morgen um 11 Uhr mit dem Schnellzuge nach Basel zurück, ich muss zurück; meine Addresse für Basel lege ich bei. Können Sie auf meine Frage Ja! sagen, so werde ich sofort Ihrer Frau Mutter schreiben, um deren Addresse ich Sie dann bitten würde. Gewinnen Sie es über sich, sich schnell zu entschliessen, mit Ja! oder Nein — so trifft mich ein briefliches Wort von Ihnen bis morgen um 10 Uhr Hôtel garni de la Poste.
Alles Gute und Segensvolle für immerdar Ihnen wünschend
Friedrich Nietzsche