1876, Briefe 496–584
502. An Carl von Gersdorff in Hohenheim
Basel Dienstag. <22. Februar 1876>
Mein geliebter Freund
wenn Dir mein Plan zusagt, so wollen wir es so machen: komme am ersten Tage Deiner Ferien nach Basel, wir ziehen dann sofort (etwa am 5 oder 6ten) weiter und suchen uns einen bescheidenen Aufenthalt am Genfersee. Wir wollen zusammen die eben angelangten 3 bändigen Memoiren einer Idealistin lesen, ich scheue mich ordentlich vor einem unbedachtsamen Einschlürfen eines so herrlichen reinen Getränkes.
Ich freue mich von ganzem Herzen auf unsere stillen Wanderungen und Gespräche. Durch Einsamkeit und Leiden bin ich ganz vollgepfropft worden.
Ich kann endlich sagen, dass es jetzt zum Besseren geht, nach einem sehr langen peinlichen Gleichmasse des schlechten Befindens. Doch habe ich endlich alle meine Vorlesungen einstellen müssen; erst seitdem spüre ich den Fortschritt.
Overbeck lässt Dich herzlich grüssen und Dir sagen, dass er am 5t. März nach Zürich zu seiner Braut reise, und sich sehr freuen würde, wenn er am 4t. Dich sehen könnte. Geht es nicht, und kannst Du, was sehr zu bedauern wäre, erst am 5t. ankommen, so bietet er Dir seine Wohnung zum Nachtquartier an. Bitte schreibe nächstens noch ein Wort über Deine definitive Entschliessung.
Deine Andeutungen über Berlin usw. schmerzen mich, es scheint mir so überflüssig und ungerecht, dass Du noch die Schule von dergleichen Schwierigkeiten durchmachen müsstest. Doch muss man manche Beschwerde selbst dankbar als eine Abschlagszahlung an den bösen Character des Daseins hinnehmen, das wissen wir ja; wir sind ja alle von grossen und plötzlichen Übeln umlauert, denke nur an Rohde.
Wie ich mich sehne, Dich wieder zu haben!
Dein F Nietzsche.