1887, Briefe 785–968
968. An Elisabeth Förster in Asuncion (Entwurf)
<Nizza, Ende Dezember 1887>
Man hat mir inzwischen schwarz auf weiß bewiesen, daß Herr Dr Förster auch jetzt noch nicht seine Verbindung mit der antis<emitischen> Bewegung aufgegeben hat. Ein Leipziger Tolpatsch und Biedermeyer (Fritsch, wenn ich mich recht erinnere) unterzog sich dieser Aufgabe, — er übersandte mir bisher regelmäßig, trotz meines energischen Protestes die antis<emitische> Corresp<ondenz> (ich habe nichts Verächtlicheres bisher gelesen als diese Correspondenz) Seitdem habe ich Mühe, etwas von der alten Zärtlichkeit und Schonung wie ich sie gegen Dich so lange gehabt habe zu Deinen Gunsten geltend zu machen, die Trennung zwischen uns ist ja nachgerade damit in der absurdesten Weise festgestellt. Hast Du gar nichts begriffen, wozu ich in der Welt bin?
Willst Du einen Katalog der Gesinnungen die ich als antipodisch empfinde? Du findest sie ganz hübsch bei einander in den „Nachklängen zu P<arsifal>“ Deines Gatten; als ich sie las, gieng mir als haarsträubende Idee auf, daß Du nichts, nichts von meiner Krankheit begriffen hast, ebenso wenig als meine schmerzhafteste und überraschendste Erkenntniß — daß der Mann, den ich am meisten verehrt hatte, in einer ekelhaften Entartung gradwegs in das überging, was ich immer am meisten verachtet hatte, in den Schwindel mit moralischen und christlichen Idealen. — Jetzt ist so viel erreicht, daß ich mich mit Händen und Füßen gegen die Verwechslung mit der antis<emitischen> Canaille wehren muß; nachdem meine eigne Schw<ester>, meine frühere Schw<ester> wie neuerdings wieder Widemann zu dieser unseligsten aller Verwechslungen den Anstoß gegeben haben. Nachdem ich gar den Namen Z<arathustra> in der antis<emitischen> Correspondenz gelesen habe, ist meine Geduld am Ende — ich bin jetzt gegen die Partei Deines Gatten im Zustand der Notwehr. Diese verfluchten schmutzigen Antisemiten-Fratzen sollen nicht an mein Ideal greifen!!
Daß unser Name durch Deine Ehe mit dieser Bewegung zusammen gemischt ist, was habe ich daran schon gelitten! Du hast die letzten 6 Jahre allen Verstand und alle Rücksicht verloren.
Himmel, was mir das schwer wird!
Ich habe, wie es billig ist, nie von Dir verlangt, daß Du etwas von der Stellung <verstündest>, die ich als Ph<ilosoph> zu meiner Zeit einnehme; trotzdem hättest Du, mit ein wenig Instinkt der Liebe, es vermeiden können, so geradewegs Dich bei meinen Antipoden anzusiedeln. Ich denke jetzt über Schwestern ungefähr so, wie Sch<openhauer> dachte, — sie sind überflüssig, sie stiften Unsinn.
Ich genieße als Ergebniß der letzten 10 Jahre, daß <ich> die gutmüthige Illusion verloren habe, als ob irgend Jemand wüßte, worum es sich bei mir handelt. Ich bin Jahre lang in der Nähe des Todes gewesen: nicht eine Ahnung davon bei irgend Jemandem, warum. Und als ich wieder Herr wurde und langsam wieder haben fast alle M<enschen> die ich kenne förmlich gewetteifert, meine Genesung durch die beleidigendste Mißhandlung immer wieder in Frage zu stellen:
ich hüte mich nachgerade, mich mit gegenwärtigen M<enschen> einzulassen; denn meine Erinnerung in Betreff fast aller derer, die ich bis jetzt kenne, ist, daß ich von ihnen in den härtesten Zeiten meines Lebens schändlich mißhandelt worden bin
Bis jetzt <habe ich es> freilich Niemandem vergessen, der sich in den letzten 10 Jahren an mir vergriffen hat: <doch lerne ich vielleicht auch das noch,> mein Gedächtniß hat wenig Platz für meine Erlebnisse
es war mir z. B. bisher unmöglich, Overbecks in Basel zu besuchen, weil <ich> es Frau Overbeck nicht vergeben hatte, daß sie sich schmutzige und unwürdige Vorstellungen über ein <Wesen gebildet hatte,> von dem ich ihr selbst gesagt habe, daß es die einzige Verwandte Natur ist, der ich bisher im Leben begegnet bin. Dasselbe gilt auch von Malvida und im Grunde von allen meinen alten Bekannten: man hat in diesem Punkte meine Ehre bis diesen Augenblick nicht wieder hergestellt. Der Besuch des vortreffl<ichen> Deussen erinnerte mich an diese Sachlage.
3. Ich habe allzulange aus einer gewissen absurden Gutmüthigkeit vorausgesetzt, daß man ungefähr wisse, worum es sich bei mir handele (zb. warum ich Jahrelang in der nächsten Nachbarschaft des Todes gelebt habe.) Nun, Schritt für Schritt bin ich hierüber (daß Niemand etwas von mir weiß) „wissend“ geworden; und das Beste ist, daß ich, seitdem ich das „weiß“, mich besser unabhängiger wohlwollender gegen Jedermann gestimmt fühle.
Ich habe mich jetzt in die Lage geschickt, zu der ich mich bisher nur „verurtheilt“ fühlte (nämlich nie einen verwandten Laut zu hören) mehr noch, ich habe eben darin das Auszeichnende meiner Lage, meines Problems, meiner neuen Fragestellung begriffen.
Ich lerne es mich in die Lage zu schicken zu der ich mich bisher immer verurtheilt glaubte: nämlich nie einen verwandten Laut zu hören