1887, Briefe 785–968
949. An Elisabeth Förster in Asuncion
Nizza (France) pension de Genève den 11. Nov. 1887
Mein liebes Lama,
eben habe ich meinem Verleger den Auftrag ertheilt, ein Exemplar meines letzten Buchs an Dich abgehn zu lassen. Eigentlich hätte ich Dir’s gerne erspart: denn es sind Stellen drin, wie im vorletzten, die absolut nicht für Deine gegenwärtigen Ohren taugen. Aber ich möchte schlechterdings verhüten, daß das Buch auf einem andren Wege zu Dir gelangte; und da ich das, nach der Erfahrung hinsichtlich von „Jenseits von Gut und Böse“, beinahe vorauszusehn habe, so wähle ich das Geringere von zwei „Übeln“ und schicke Dir’s selbst. —
Zuletzt erregt das Buch vielleicht ein zu allgemeines Interesse, als eine Art Kriegserklärung gegen die Moral, als daß fünf, sechs peinlich-persönliche Dinge dagegen in Betracht kämen. Daß sie gesagt werden mußten, hat in dem seinen Grund, daß ich der schändlichen Vermanschung meines Namens und meiner Interessen ein Ende machen will, die sich in den letzten 10 Jahren gebildet hat. Dem gleichen Zwecke dienen alle die Vorreden und Beigaben der neuen Auflagen meiner älteren Werke. (Du findest auf der Rückseite des Buchs einen Überblick über Alles, was in den letzten 2 Jahren in Bezug auf diese frühere Litteratur von mir gethan worden ist. Es wäre noch hinzuzufügen, daß bei E. W. Fritzsch in herrlicher Ausstattung jener Hymnus erschienen ist, der einmal „zu meinem Gedächtniß“ gesungen werden soll (— er wird muthmaßlich schon diesen Winter an mehreren Orten aufgeführt werden, zb. in Carlsruhe durch H<of>k<apell>m<eister> Mottl.) Der Titel lautet:
Hymnus
an das Leben
für
gemischten Chor und Orchester
componirt
von
Friedrich Nietzsche.
Partitur Pr. 2 Mk.
Chorstimmen usw.
Orchesterstimmen usw,
usw.
Eigenthum des Verlegers für alle Länder
Leipzig.
E. W. Fritzsch.
Dieser Hymnus ist mir sehr werth, als der Ausdruck des gehobensten und stolzesten Zustandes, den ich erlebt habe. Die Vortragsbezeichnung ist „Entschlossen; mit heroischem Ausdruck“. Die Musiker finden ihn „machtvoll“. „Magnifico! Che vigore! È la vera musica ecclesiastica“, riefen italiänische Künstler beim Anhören; was mich sehr hat lachen machen. —
Allerschönsten Dank für Deinen Geburtstagsbrief, der mich am ersten Morgen meines Nizzaer Winter-Aufenthaltes in erquicklicher Weise überraschte. Meinem werthen Herrn Schwager habe ich sofort meinen Dank für seine Wünsche brieflich ausgedrückt: er hat mir sehr liebenswürdig in seinem Briefe die Hand gereicht — und ich habe versucht, dasselbe zu thun: ein Schauspiel, das in Hinsicht auf die bedeutende Verlängerung unsrer beiderseitigen Arme, die dazu noth that, für das zuschauende Lama nicht ohne Reiz gewesen sein dürfte.
Vielleicht trifft Dich dieser Brief schon in der neuen Heimat? Und etwa gegen Weihnachten? Nimm ihn als Ausdruck meiner herzlichsten Wünsche für Alles, was von Euch so großartig unternommen ist: ich selbst, es hilft nichts, bleibe freilich der „gute Europäer“… Treulich Dein und Euer
F.