1880, Briefe 1–73
72. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Genua, 22. Dezember 1880>
Lieber Freund, von Keinem hätte ich lieber etwas über meinen guten alten Gersdorff gehört als von Ihnen. Er scheint also noch derselbe zu sein: was mir wohlthut, denn ich fürchtete, er wäre unter das ihm mögliche Maaß von Wohlbefinden hinabgesunken. — Und Sie, Freund? Was haben Sie für ein November- und Dezember-Wetter gehabt? Hier war es unvergleichlich — so daß ich sehr mißtrauisch für den Rest des Winters bin. Es fehlt mir der Ofen, wie Ihnen. Aber bis jetzt konnte man Tag und Nacht im Freien sitzen (und liegen — ich komme eben von der einsamen Felsenküste) Meine Gesundheit war in Venedig viel besser, aber ich habe meine Jahreszeiten im Leiden: nach dem Sommer zu bin ich gesünder, von da sinkt es. Schreiben Sie recht viele solche Takte, wie die am Schluß von „Arm und elend muß ich sein“ (scherzando): sie gehören zur guten alten, sehr guten und stets guten Zeit: wohin wir Alle gehören möchten!
Treulich F.