1880, Briefe 1–73
64. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Genua, 17. November 1880>
Ihr Brief kam zur rechten Zeit: eben war der erste lichte und ruhige Moment erschienen, nach einer äußerst qualvollen unbegreiflichen Zeit, wo alle Übel des Leibes und der Seele über mich herfielen. O der tiefen Melancholie in Stresa! Ich sang und pfiff mir Ihre Melodien, um mir Muth zu machen: so werden sie mir im Gedächtniß bleiben! Und wahrlich, alles Gute der Musik muß sich pfeifen lassen, aber die Deutschen haben nie singen gekonnt und schleppen sich mit ihren Klavieren: daher die Brunst für die Harmonie. — Verrathen Sie Niemandem, daß ich in Genua bin und bleiben werde, sagen Sie, ich bitte, gelegentlich, ich sei in San Remo. Ich will mir die unbekannteste Dachstuben-Existenz gründen (ich habe jetzt das vierte Logis schon) Bleiben Sie muthig und so freudig-freundlich wie Ihr letzter Brief! Genova poste restante