1880, Briefe 1–73
35. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Marienbad, 5. Juli 1880>
So bin ich denn, lieber Freund, endlich in eine Art Nothhafen eingelaufen, nach der unangenehmsten Irrfahrt, die ich bisher gemacht habe. Alles, was ich mir in Krain Kärnten Tirol angesehn habe, paßte nicht für mich; vielmehr, es war Alles unmöglich. Jetzt also Marienbad in Böhmen — aber 2 Tage Regenwetter bisher. Die Reise hat meiner Gesundheit sehr geschadet, ich war ein paar Mal fast in Verzweiflung. Die Bergwelt erschien mir unbedeutend und „blödsinnig“ (ich habe in Bezug auf Gebirge zu viel Calame’ische Ansprüche — dies wurde mir auf der Reise zur Calamität) Verlassen Sie das gute Venedig nicht so leicht, die Menschen sind hier so häßlich, das Beefsteak kostet 80 Kreuzer, man ist wie in einer schlechtern Welt. Möge Ihnen oft die Stunde der Erhebung und Schönheit kommen! und sagen Sie es mir, wenn es Ihnen so geht: niemand kann daran mehr Freude haben als
Ihr Freund
F.N.
|| Marienbad Böhmen, „Ermitage.“ ||