1879, Briefe 790–922
904. An Franz Overbeck in Basel
Naumb. den 14 Nov. 1879.
Lieber lieber Freund, Dein Geburtstag ist ein Feiertag für mich, aber wünschen, wünschen — ich weiß gar nicht, was. Daß wir uns wiedersehen! — das versteht sich als ein habitueller Wunsch von selber. Auch daß im Winter Deine Abhandlung über die Entst<ehung> der chr<istlichen> Litt<eratur> fertig werden möge! Im Übrigen habe ich, wenn ich an Dich denke, nichts zu wünschen, sondern nur zu danken. —
Es geht nicht gut, die guten Einwirkungen des Sommers lassen nach, der unablässige Schmerz wird wieder recht lästig. Es ist ein Unglück, daß dies mal der Naumburger Herbst so trübe und naß ausgefallen ist, wie seit Menschengedenken nicht. Alle 8 Tage etwa einen Nachmittag die Sonne und den Himmel sehen — darauf läuft es hinaus. Geistige Ruhe ist mein Programm: die habe ich auch — aber das Wetter liegt schwer auf mir. Mein Muth ist trotzdem noch unerschüttert, und ich will den Winter hier aushalten.
Meine Mutter hat mir vorgelesen Gogol, Lermontoff, Bret Harte, M. Twain E. A. Poe. Wenn Du das letzterschienene Buch von Twain „die Abenteuer von Tom Sawyer“ noch nicht kennst, so wäre es mir ein Vergnügen, Dir damit ein kleines Geschenk zu machen.
Die Frage der Bücher-Versicherung wollen wir in graec<as> cal<endas> vertagen; in meinen Augen sind sie sehr gut versichert, insofern sie im Falkenstein wohnen dürfen.
Dir und Deiner lieben Frau
von ganzem Herzen gut
Dein Freund
F. Nietzsche