1879, Briefe 790–922
795. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
<Basel,> 12 Jan<uar 1879>
Geehrtester Herr Verleger,
der 12te Januar und noch kein Bogen? — Es wundert mich. — Sie wissen, daß Sie einen schwer Leidenden als Autor haben? daß ich Tag für Tag voraus die sorgfältigste Ökonomie über die wenigen verfügbaren — für Kopf und Augen verfügbaren Viertelstunden zu machen habe? daß ich jede Abweichung mit heftigen Anfällen meines Leidens zu zahlen habe? daß mir die Art des Drucks vom vorigen Jahre in peinlichster leidvollster Erinnerung ist? — Ich muß Tag und Stunde wissen, wann die Bogen eintreffen: bitte, sagen Sie dies in der Druckerei und machen Sie, wenn es Noth thut, Strafcontrakte.
Was Sie von Bayreuth schreiben, thut mir weh, Ihretwegen! — Bayreuth liegt unter der Tropen-Zone, scheint es; sehen Sie zu, daß Sie nicht gelb oder gar schwarz dabei werden.
Anbei ein Satz, der aus Versehen nicht abgeschrieben wurde: er gehört in den Abschnitt, der anfängt „das einzige Mittel, welches wir gegen den Socialismus noch in den Händen haben“; nach den Worten „eure lärmende Opern- und Musikbegeisterung:“ muß es heißen:
: endlich eure Frauen, geformt und gebildet, aber aus unedlem Metalle, vergoldet, aber ohne Goldklang, als Schaustücke von euch gewählt, als Schaustücke sich selber gebend: — usw
Dann bitte, fügen Sie noch irgendwo einen meiner „Sprüche“ ein, auf den ich mir etwas zu Gute thue
Was ist Genie?— Ein hohes Ziel und die Mittel dazu wollen.
Und nun möge es Ihnen gut gehen, besser, zehnmal besser als es mir geht, was die Schmerzhaftigkeit des Daseins betrifft, aber gleich gut, wie mir, in Hinsicht auf Ruhe und Sicherheit der Seele.
Ihr ergebener
Friedr. Nietzsche.
12 Jan.
12 Jan.
12 Jan.