1879, Briefe 790–922
870. An Franz Overbeck in Zürich
<St. Moritz, 31 Juli 1879>Donnerstag.
Lieber Freund, ich hätte schon eher Dir für die schöne Hoffnung des Wiedersehens gedankt: aber der Anfall und ein Tag zu Bett-Liegens kam dazwischen. Der Sommer ist eigentlich vorbei, der schlechteste, dessen sich die Engadiner erinnern, ganz verregnet und verschneit. Der Schnee hängt noch tief ins Thal. Trotzdem: es ist der beste Bergaufenthalt, den ich gemacht habe. Vielleicht giebt es einen guten Nachsommer.
Das Buch an stud. Pachnike ist doch angekommen: aber „der Sohn Hermann“ hat sich verlobt und darüber, wie billig, einiges vergessen. Die Eltern der Braut lassen ihn weiter studiren.
Die akad<emische> Gesellschaft hat mich auf das Artigste überrascht. Ich werde so gut behandelt, als ob ich’s verdiente. Darin bleibe ich aber ewig ὁ σκεπτικώτατος.
Mit Freuden höre ich, daß der deutsche Ste. Beuve wächst und gedeiht. Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich hörte, daß es mit der Abneigung Deiner lieben Frau gegen das Oberengadin nichts ist, denn ich bin in Dingen, die ich sehr liebe (wie besagtes Oberengadin) aus Erfahrung sehr mißtrauisch geworden und frage mich dann, ob ich mich nicht sehr irre. — Nun verspreche ich Dir, daß Dir’s gefallen soll.
Bringe mir, bitte, ein paar hundert frs. (womöglich in Gold) mit. Das Geld an der Handwerkerbank möchte ich als Nothpfennig für die Zukunft und Zufälligkeiten erhalten, so daß es vielleicht mit 6 monatl. Kündigung angelegt werden könnte. Dann giebt es einen höheren Zins. Übrigens: es steht dies in Deiner Hand, ich verstehe nichts davon —
Um etwas Festes auf der Erde zu haben, habe ich (für sehr wenig Geld) von der Stadt Naumburg auf 6 Jahre den sog. Zwinger in Pacht genommen, ein Stück der alten Stadtmauer, welches dem Hause meiner Mutter gegenüber liegt. Hier werde ich alle Frühlinge (März bis Mitte Juni) Gemüsebau* treiben. Ein Thurm ist darin, mit einem Zimmer, das mir meine Mutter zum Wohnen und Schlafen einrichtet. Ich regte die Sache an und hatte Glück damit.
Ein sonderbarer Bücherwunsch: kannst Du mir vielleicht (von der Bibliothek (oder Heusler) das letzte Buch Iherings „der Zweck im Recht“ schicken?
Lebewohl, mein lieber lieber Freund.
F N.