1879, Briefe 790–922
863. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<St. Moritz, Anfang Juli 1879>
Meine liebe gute Mutter, ich höre mit Vergnügen durch Deinen gemüthlichen Brief, wie Dein Heimwesen sich hebt und verschönert, und zwar so, wie ich’s gern habe, durch die einfachsten Mittel und allmählich. Der alte Turm am Zwinger spukt mir immer noch im Kopfe, ob da nicht eine Stube für mich einzurichten sei: und dann frage ich, ob überhaupt nicht ein Gärtchen in der Nähe wäre, wo wir all unser Gemüse selber bauen könnten. So viel davon. — St. Moritz ist höher als Rigi-kulm, wo Du warst: Du wirst in der „Schweiz“ eine Abbildung davon gefunden haben, wohl auch von dem benachbarten Pontresina. Wälder, Seen, die besten Spazierwege, wie sie für mich Fast-Blinden hergerichtet sein müssen und die erquicklichste Luft — die beste in Europa — das macht mir den Ort lieb. Aber krank bin ich so viel wie überall, es geht mir so wie im Herbst in Naumburg, jeden zweiten Tag muß ich zu Bett zu bringen. Doch halte ich es hier besser aus, während ich anderwärts, namentlich in Basel, an der Grenze der Verzweiflung war.
An Genesung ist gar nicht zu denken, es ist sehr viel, wenn ich es erträglicher habe.
Ich wohne still, habe gute Milch und Eier.
Mit herzlichstem Gruße Dein F.
Einen Monat später werde ich vielleicht um eine Wurst-Proviant-sendung bitten, ja nicht eher.
St. Moritz/Graubünden, Schweiz
poste restante.