1871, Briefe 118–182a
162. An Erwin Rohde in Kiel
Naumburg Freitag Abend. <20. Oktober 1871>
Mein lieber Freund,
heute sende ich Dir nur ein Wörtchen zur Begleitung der Meßphotographie, die Hennig zu meiner Ergetzung vorgestern abgeliefert hat. Besagter Photograph will von uns noch 1 Thaler, wodurch für Jeden von uns noch die Ausgabe von 10 Srg. erwächst. Inzwischen habe ich bezahlt. Wir stehen auf dieser Photographie etwas verschoben und ich vornehmlich „unschön gekrümmt“, mit einem stumpfen Blicke, aus dem die ganze Dummheit der Messe, sammt ihren Spirituosen, redet. Im Übrigen — senza frivolita — wir waren doch die glücklichsten Meßjuden in Leipzig, ja wir dürften die Rollen aus dem Lumpacivagabundus unter uns vertheilen, wobei ich auf den Schuster Anspruch erhebe, von wegen des delirium tremens clemens demens.
Der verloren gegangene „Faust“ ist inzwischen von mir und Gustav Krug wieder auf dem Knabenberg, an einer Stelle, wo Gersdorff gerastet hatte, aufgefunden worden: was ich als ein herrliches omen preise. Die erste Stelle, die ich in dem Buche aufschlug, war: Altmayer: „Nun sag mir eins, man soll kein Wunder glauben“. Wodurch ich an unser Meßwunder und das Adventmirakel unsrer Existenz in Leipzig lebhaft erinnert wurde.
„Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?“
Ich glaube es fast, mein lieber Freund, es war keine Taschenspielerei, unsre Geisterscheinung in Leipzig. Wir waren dort und werden dort sein: was der Jude mit dem Worte Jehova ausdrücken soll. Herr, gedenke der rohden Stube!
Es segne Dich der heiige Pythagoras, mich der heilge Frit<z>sch und uns alle das Ding an sich!
Morgen reise ich nach Basel zurück, mich vom Mahle meiner Ferienfreuden wie ein satter Zecher erhebend. So solenn und üppig habe ich sie nie verlebt und ich weiß, was ich meinen Freunden zu danken habe. Noch mehr aber allen Dämonen, denen wir in einer Stunde nächstens ein gemeinsames Dankopfer bringen wollen: wodurch wir die Idealität von Zeit und Raum einmal glänzend bestätigen wollen. Nächsten Montag Abends um 10 Uhr erhebe ein Jeder von uns ein Glas mit dunklem rothen Wein und gieße die Hälfte davon in die schwarze Nacht hinaus, mit den Worten χαίρετε δαίμονες, die andre Hälfte trinke er aus. Probatum est. Gesegn’ es Samiel! Uhu! — An Gersdorrf mache ich die Meldung.
Habe Dank, mein lieber lieber Freund!
FN.