1871, Briefe 118–182a
136. An Friedrich Ritschl in Leipzig
<Basel,> 7 Juni 1871.
Verehrtester Herr Geheimrath,
mit dem herzlichsten Danke für Ihren Brief, der mich nach jeder Seite hin beruhigt und aufgeklärt hat, verbinde ich heute die Anzeige, dass ich im Herbste nicht nach Leipzig zur Philologenversammlung kommen werde und meinen vorjährigen Antrag, einen Vortrag zu halten, zurückziehen muss. Nachdem ich weiss, dass Sie nicht präsidiren, versteht sich dies Alles von selbst. Im gleichen Sinne schrieb mir auch dieser Tage Freund Rohde aus Kiel. — Dabei ist es aber nicht unmöglich, dass ich dieses Jahr irgend wann einmal nach Leipzig komme, um Sie zu besuchen: eine Aussicht, die ich mir durch den oben gemeldeten Entschluss nicht rauben lassen möchte.
In Betreff Rohde’s möchte ich mir die Anfrage erlauben, ob Sie nicht ein Mittel wissen, wie man ihn in Zürich, an Benndorfs Stelle, zum Vorschlag bringen könnte. Mir liegt erstaunlich viel daran, ihn in meine Nähe zu bekommen. Und dass er jene Stellung mindestens so gut verdient als etwa Dilthey (von dem ich neulich munkeln hörte), ist ja keine Frage. Ich halte ihn, ohne alle freundschaftlichen Übertreibungen, für eine der reichsten philologischen Kräfte und Begabungen, die wir für die Zukunft zu wünschen haben.
Kürzlich sprach sich Wölflin sehr lobend über Andresen’s Aufsatz in den „Acta“ aus, desgleichen Hagen in Bern über Jungmanns Fulgentius. Ich habe beide zu einer Recension zu gewinnen gesucht.
Sich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin (der ich nächstens einen geheimen Aufsatz von mir senden werde) bestens empfehlend, auch Namens meiner Schwester, die mich, bei meinen ungleichen Gesundheitsverhältnissen, hegt und pflegt,
bin ich
Ihr getreuer
Friedrich Nietzsche
in Basel.