1871, Briefe 118–182a
157. An Friedrich Ritschl in Leipzig
Basel 18 Sept. 71.
Mein verehrtester Herr Geheimrath,
ich kündige Ihnen hiermit an, daß ich, meinem gegebnen Versprechen gemäß, im Herbst einmal bei Ihnen erscheinen werde. Das ist nun beschlossen. Da wollen wir uns mancherlei erzählen, ich bin sehr zum Erzählen aufgelegt und weiß, daß Sie und Ihre Frau Gemahlin an mir den alten Antheil nehmen. Das hat mir der Miethling Romundt verrathen, der sich über Basel zu seinem Herrendienst nach Nizza begab.
Mit diesen Ankündigungszeilen geht zugleich eine Abhandlung ab, die sich Hoffnung macht — und wie ich denke, sich machen darf — im rheinischen Museum gedruckt zu werden. Sie ist verfaßt von dem begabten Dr. Geizer (dem Sohne des bekannten Professors und Fürstendieners), der hier Gymnasiallehrer ist und auch bei mir ein Colleg gehört hat. Augenblicklich ist er mit seinem Lehrer E. Curtius in Kleinasien, der Glückliche! und gräbt vielleicht nach den Gebeinen des Hektor — was weiß ich! Ich denke mir, er wird irgendwann einmal auf den Einfall gerathen oder gebracht werden — sich zu habilitieren. Machen Sie ihm und mir das Vergnügen, das Baseler Elaborat über Lykurgus im rhein. Museum gedruckt zu sehn.
Meine Schwester hat mich seit einiger Zeit verlassen. Wir sind hier in den letzten Athemzügen des Sommersemesters — wir haben hier einen langen Athem, nicht wahr?
Also auf Wiedersehen, verehrtester
Lehrer!
Ihr getreuer
Friedrich Nietzsche