1871, Briefe 118–182a
147. An Erwin Rohde in Kiel
<Gimmelwald bei Lauterbrunnen, 19. Juli 1871>
Mein lieber Freund,
in der erhabensten Gebirgseinöde habe ich soeben Deinen Brief empfangen und antworte ungesäumt, obschon ich nichts zu schreiben habe als: „Traurig! Es geht wieder einmal nicht! Welch’ sonderbare Constellation!“
In derselben Viertelstunde, in der ich an Dich meine exhortativen Zeilen richtete, schrieb ich mit ähnlicher Dringlichkeit an Romundt — und mit ähnlichem Effekt! Unglückliche Viertelstunde, in der ich unser Dreier Loos an einen Faden zu ketten hoffte! Ich bot Romundt eine stattliche Lehrerstellung in Bern an (mit 3—4000 frs. Gehalt und mäßiger Stundenzahl an einem höhern Gymnasium) Mit Deinem Brief zugleich bekomme ich seine Antwort: er ist mit der Proposition zufrieden, kann sie aber nicht annehmen, weil er eben eine Hauslehrerstelle in Nizza angenommen hat!
— Ich hoffe nun sicherlich, schon des Parallelismus wegen, daß Du auch in Kürze, trotz Forchhammer, Dein Nizza erreichst.
Übrigens ist es miserabel vom Schicksal, uns zu trennen. Schließlich zwingt mich dasselbe noch zu viel extremeren Maßregeln.—. Ich will ja wahrhaftig nichts meinetwegen, aber es ist nöthig, daß wir zusammen sind, wie Dir sofort deutlich sein würde, wenn wir wieder ein Paar Tage zusammen gelebt haben werden, nöthig unserer beiderseitigen Bestimmung halber, deren vorgezeichnete Bahn ich schon deutlicher zu erkennen glaube.
Lassen wir uns durch das Schicksal nicht verdrießlich machen, sondern nur muthiger und radikaler! —
Es fällt mir ein, daß ich Dir neulich ein Exemplar meines „Sokrates“, sammt einem zweiten für Ribbeck, durch die Post als Paket zugeschickt habe. Ich ärgere mich sehr, wenn es, wie es scheint, nicht angekommen ist. — In Leipzig habe ich diese Abhandlung durch Romundt im philologischen Verein vorlesen lassen und auch sonst bekannt gemacht, mit einiger „Sensation“, wie mir Romundt schreibt.
Hier, in der Wildniß, hoffe ich wieder wie Danae, auf einen Regen, wenigstens auf ein Tröpfeln von guten Einfällen, denn ich habe mir eine schwierige Aufgabe gestellt, die in der Ebene zu lösen ich verzweifle.
Und nun, lieber Freund, denke an mich als an Einen, der kein Mittel unversucht läßt, Dich in seine Nähe zu bringen, der auch bisjetzt die Hoffnung keineswegs für alle Zeiten aufgiebt.
Für Zürich, höre ich, haben Dilthey in Bonn und Matz einige Aussichten. Ich verdanke diese Notiz dem ekelhaften Lucian Müller, der von Petersburg aus nach der Schweiz kommt und mich — mich! — mich!! belästigt hat.
Mit mir zusammen ist der Ritter des eiser. Kreuzes Carl von Gersdorff, mein alter, trefflich sich bewährender Freund.
In steter Treue
Dein Freund F N.
Gleiche Adresse (Gimmelwald) wie bei dem letzten Brief.
Man will nicht in Zürich „vor allem einen Archäologen“; auch schätzest Du Deine Capacität für griech. Kunst zu gering. Man will einen Vertreter der Alterthümer und dann zweitens einen Sprachphilologen und drittens endlich einen, der einige allgemeinere archäolog. Collegien liest! — Aber freilich! Die sonderbare, in der Luft schwebende Professur verpflichtet Dich leider Gottes zum passiven Zuschauen und Geschehenlassen. Mir scheint die sich zankende Fakultät sammt dem in der Höhe thronenden Ministerium eines tüchtigen Trittes, Steißtrittes werth! Es ekelt mich — gerade wenn ich denke daß Du das Streitobjekt bist.