1871, Briefe 118–182a
145. An Richard Meister in Leipzig
<Basel,> 14 Juli 1871.
Lieber Herr Meister,
Sie haben mich durch Ihren Brief sehr erfreut und keinesfalls, wie Sie dies in aller Bescheidenheit vermutheten, gelangweilt. Ich bitte Sie, wie sollten mich Nachrichten vom Vereine langweilen, nachdem es mir viel Langeweile gemacht hatte, so lange Zeit gar nichts von ihm zu hören, so daß seine Existenz für mich nicht über alle Zweifel sicher stand. Nun weiß ich daß er noch lebt: und es wäre, im Vertrauen gesagt, bei dem numerisch glänzenden Aufschwunge der Leipziger Philologenschaft, recht schmählich, wenn er nicht mehr lebte. Sorgen Sie jetzt dafür, daß er mit Ehren wächst und das bleibt, was er in den Jahren 65—67 dh. in den Jahren meiner Erinnerung, war, nämlich der Mittelpunkt und gemeinsame Herd aller wirklich produktiven und ernsthaft gesinnten Philologen. Ich bedauere es oftmals, daß ich nicht mehr den bequemen Zugang zu diesem Vereine habe, wie früher; gerade einer solchen Zuhörerschaft, wie ich sie jetzt unter Ihrem Präsidium voraussetze, hätte ich so mancherlei persönlich zu sagen, zur Kräftigung und Förderung aller der Pläne, die ich auf dem Herzen trage und die recht eigentlich das Herz der klassischen Philologie berühren. Wir dürfen noch auf eine Wiedererweckung des hellenischen Alterthums hoffen, von der unsre Väter nichts geträumt haben. Glauben Sie nur das nicht, daß wir mit einer abgegrasten und verkümmerten Wiese, als dürres Weidevieh, uns zu begnügen hätten! —
In diesem Sinne grüßen Sie den Verein von mir, der überzeugt sein darf, daß ich für ihn thun werde, was man von mir verlangt und wozu mich übrigens meine eigne Dankbarkeit jederzeit treibt.
Mit freundlichen Grüßen
bin ich
Ihr
Dr Friedr. Nietzsche
P. o. p. in Basel.