1873, Briefe 287–338a
327. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Basel, an meinem Namenstage.<14. November 1873>
Meine liebe Lisbeth
Schnell schnell ein paar Krakelzeilchen, die wie ich fast fürchten muss, mehr zu Orakelzeilchen werden. Schönsten Dank für Deinen Brief: schauen’s, wir haben’s wieder einmal „einen ganzen Sommer lang“ zusammen ausgehalten, ohne uns zu beissen und zu kratzen, sondern hingegen — vielmehro „fein einträchtiglich.“ Also — wenn wir’s Lied nicht weiter können, so fangen wir’s wieder von vorne an, nämlich so zu sagen im nächsten Jahre. —
Mein Mahnruf ist in Bayreuth nicht acceptirt worden; deshalb bitte ich um die grösste Discretion. Es war übrigens ganz herrlich und auferbauend in jenen drei Tagen, und mit Schmerz ging’s wieder zurück. Die verfluchten Nachtfahrten habe ich freilich verschwören gelernt. Mit der Gesundheit geht es jetzt einigermaassen, doch war vorgestern wieder ein Tag im Stile Deines Abschied-Tages. Lampenschirm vortrefflich. Gestern war ich bei Fräulein Kestner, die Dich sehr lobte und grüssen lässt. Es war eine kleine Mittagsgesellschaft, Henriette und Schwester zugegen. Ebenfalls ein Türke. Am Zunftessen, beim Beginn unsres Winterhalbjahrs, war’s recht angenehm, Schiess (mit dem ich jetzt Du sage) und Socin meine Nachbarn, rings herum lauter gute Bekannte. Nächsten Sonntag ist Overbecks Geburtstag. An Gustav habe ich des gleichen Tages wegen geschrieben. Fritzsch war nicht in Bayreuth, hat auch nichts geschickt — sehr bedenklich! Der Kopf ist frei, insofern das Rüsselgespenst weggeblieben ist: sonst essen ein Anatom und zwei Theologen, gute Gesellen, mit uns. Gersdorff trifft bald hier ein, dann soll’s wieder unzeitgemäss zugehen. Hier gab’s noch einige Zeitungsartikel, zB. im Volksfreund ganz stattlich über die Geburt der Trag<ödie>. Es ist gar zu absurd! Brockhausens haben sich mit Wagner’s meinetwegen greulich überworfen. Discretion!
Sage unsrer lieben Mutter einen herzlichen Gruss und ich wünschte schönen Erfolg bei der Auction. Sind die Papiere der Tante auf das Kotzebue-Stück hin durchsucht?
Denkt an mich und lebt recht,
recht wohl und gut mit ein-
ander, und auf Wiedersehen.
Euer Fr.