1873, Briefe 287–338a
319. An Erwin Rohde in Hamburg
Von der Schweizer Grenze <Basel>18/10 73.
Liebster Freund!
Obenstehende Hôtelanzeige besagt nur, daß ich im vorigen Jahr auf dem Splügen war und daß ich augenblicklich kein anderes Briefpapier habe. Der aber, welcher diesen Brief und diese schlechte Hand schreibt ist Romundt genannt.
Seit Deiner Abreise habe ich mich mühsam durchgeschleppt, mußte alle drei Tage zu Bett liegen und war außer Stande, Deinen Geburtstag, wie sichs gebührt, durch Briefe und Weinspenden zu feiern. In Betreff des meinigen habe ich mir vorgenommen, immer nur das Vorübersein eines Jahres zu feiern und die Zukunft mit einiger Resignation herankommen zu sehn. Wenn die Götter sehr gnädig sind, so erhalten sie mir im neuen Jahre das, was ich im alten hatte; nämlich: meine Freunde und die Lust etwas Rechtes zu machen.
Alles Neue nämlich ist fürchterlich; wie ich schon in den ersten Tagen des neuen Jahres zu erfahren Gelegenheit hatte. Neu ist z.Bsp. die Aufforderung, die mir heute zukommt, zu Gunsten des Bayreuther Werkes und im Auftrage eines Patronenausschusses einen Aufruf an das deutsche Volk (mit Züchten zu reden) zu machen. Fürchterlich ist diese Aufforderung auch: denn ich habe selbst einmal aus freien Stücken etwas Ähnliches versucht, ohne damit fertig zu werden. Deshalb geht meine dringende und herzliche Bitte an Dich, lieber Freund, mir dabei zu helfen, um zu sehn, ob wir vielleicht gemeinsam das Unthier bewältigen. Der Sinn der Proclamation, um deren Entwurf ich Dich bitte, läuft darauf hinaus, daß Groß und Klein, so weit die deutsche Zunge klingt, bei seinem Musikalienhändler Geld bezahlt; zu welcher Handlung man etwa durch folgende Motivierung anreizen könnte: (nach einer, wie es scheint, von Wagner stammenden von Heckel mitgetheilten Angabe) 1. Bedeutung des Unternehmens, Bedeutung des Unternehmers 2. Schande für die Nation, in welcher eine solche Unternehmung, bei welcher jeder Theilnehmer uneigennützig und persönlich aufopfernd ist, als das Unternehmen eines Charlatans kann dargestellt und angegriffen werden. 3. Vergleich mit andern Nationen: wenn in Frankreich, England und Italien ein Mann, nachdem er gegen alle Mächte der Öffentlichkeit fünf Werke den Theatern gegeben hätte, die von Norden bis Süden gegeben und bejubelt werden, wenn ein Solcher ausriefe: die bestehenden Theater entsprechen nicht dem Geiste der Nation, sie sind als öffentliche Kunst eine Schande, helft mir eine Stätte dem nationalen Geiste bereiten, würde ihm nicht alles zu Hülfe kommen, wenn auch nur aus Ehrgefühl? u.s.w. u.s.w. Am Schluß wäre darauf hinzuweisen, daß bei sämmtlichen (3946) deutschen Buch- Kunst- und Musikalienhändlern, welche jede gewünschte Auskunft geben können, Listen ausliegen zur Einzeichnung etc. Laß Dich’s nicht verdrießen, liebster Freund, und gehe daran; ich wills auch thun, kann aber bei meinen gräulichen Herz und Bauchzuständen für gar nichts einstehn. Übrigens drängt die Sache. Darf ich also bald auf ein Blatt im napoleonischen Stile rechnen?
Inzwischen ist eine andre Sache ins Gigantische und recht eigentlich über unsere Köpfe gewachsen. Auch brieflich ist es nur erlaubt, von ihr zu munkeln, nicht deutlich zu reden. Es besteht, wie Overbeck und ich des Festesten überzeugt sind, eine unheimliche Machination, um den - - - Leipz. Verlag in die Hände der Internationalen zu bringen. F<ritzsch> ist, wie wir fürchten, bereits compromittiert und hat wahrscheinlich schon Geld bekommen. Unsre Sache, auf die wir hoffen, ist in dem Augenblick vernichtet, wo nur ein Wörtchen davon in der Öffentlichkeit laut wird. Heute Abend wollte ich eigentlich zu einer schleunigen persönlichen Intervention nach Leipzig abreisen. Eine unerwartete Verpflichtung meines Amtes hält mich ab und so werde ich erst von Bayreuth aus nach Leipzig reisen. Dem scharfsinnigen Kritiker E. R. liegt nicht der ganze Apparatus criticus vor. (nämlich Briefe und Aussagen des weiblichen Gespenstes R<osalie> N<ielsen>). Aus dem, was wir wissen, ist es auch minder geübten Krütükern möglich, zu einem schrecklich bestimmten Resultat zu kommen, besonders wenn sie sich der berühmten speculativen Sälenleere R<omundt>’s bedienen. Bitte, theile uns doch noch mit, ob F<ritzsch> aus freien Stücken auf die Erwähnung jenes Testamentes kam, in welchem Tone er das Gespenst erwähnte und ob er angelegentlich von seiner Gesundheit sprach. Übrigens bist Du ernstlich von Dictator und Schreiber gebeten, diesen Brief sofort zu verbrennen.
Pocht das starke Männerherz wider die Rippen?
Nach solchen Vorkommnissen wage ich nicht mehr, meinen Namen unter diesen Brief zu setzen. Wir leben Samarow, denken nur Minen und Gegenminen, unterzeichnen nur pseudonym und tragen falsche Bärte.
Hui! Hui! Wie saust der Wind!
Im Namen der Mitverschworenen
Hugo mit der dumpfen Geisterstimme.
Herzliche Grüße fügt hinzu
der Schreiber
Alles ist gefährdet; auch bei Overbeck wühlts im Bauche, er fühlt sich vergiftet; er läßt grüßen. —