1873, Briefe 287–338a
306. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Basel Dienstag. <29. April 1873>
Meine liebe Mutter und Schwester,
ja, es ist wirklich ein Skandal, wie lange ich nicht geschrieben habe. Meine Ferien sind dazu bald wieder zu Ende und nächste Woche geht die Sommerarbeit los. Ich hätte doch Zeit gehabt, nicht wahr? Nun wollen wir einmal sehen, was ich inzwischen gemacht habe, daß ich so schnell und fast ohne es zu merken, wie viel Zeit vergangen ist, über die Ferien hinweggekommen bin. Also zuerst schrieb ich noch an meinen griechischen Philosophen: das Buch ist aber gar nicht fertig und es kann noch viel Zeit vergehen, ehe ich zu einem Abschluß komme. Dann bekam ich zur höchsten Überraschung von Rohde die Mittheilung, daß er nach Süddeutschland käme und mit mir eine Zeit zusammen sein wolle. Wo? sollte ich bestimmen. Nun, ich bestimmte Bayreuth, und war also dort mit Rohde zusammen von Palmsonntag bis Ostersonntag. Das war doch schön ausgedacht. Gleich nach Ostern hatten wir hier Examina, anderthalb Wochen. Jetzt kaue ich am letzten Ferienknochen und benutze ihn, um eine polemische Abhandlung gegen David Strauss zu machen. Also Beschäftigung und Zerstreuung genug. Deinen Brief, meine liebe Mutter, erhielt ich nach Bayreuth nachgeschickt und danke bestens dafür. Viel Briefe habe ich sonst nicht bekommen, weil ich fast gar keine mehr geschrieben habe. Doch trotzdem — Gersdorff und Frl von Meysenbug halten aus und lassen immer wieder von sich, in rechter Freundschaft, hören. Ersterer ist jetzt in Sicilien mit seinem Vater und kommt im Sommer wahrscheinlich nach Basel. Seine Freunde Rau und Otto sind jetzt in Rom und bewohnen Gersdorff’s Quartier. Overbeck hat eine ausgezeichnete Schrift vollendet und sie Fritzsch zum Verlag angeboten. Wir sind begierig auf die Antwort. Picard hat sich in diesen Wochen in Genf verheirathet. Daß Sally Vischer Braut ist, wißt Ihr ja wohl, mit einem Herrn Allioth in Arlesheim. Andre Neuigkeiten weiß ich jetzt nicht.
Also, liebe Lisbeth, Dein Kommen steht bevor! Ich freue mich von Herzen darauf. Mit der Wohnung hat es sich trefflich gemacht, der Hr Blomberg, der bis jetzt dort wohnte, ist mein Tischnachbar im Kopf. Ich denke, es bleibt bei der Verabredung mit Straßburg. Du weißt aber daß ich nur von Sonnabend vor bis Montag Abend nach Pfingsten Zeit habe. Das ist aber gerade die rechte Zeit für Straßburg.
Ich bin unterbrochen worden, meine Schüler vom Pädagogium kommen truppenweise, um sich zu bedanken, sie sind jetzt zur Universität abgegangen.
Der Rathsherr Vischer ist in Baden, der Prof. Vischer in Rom, das weißt Du wohl? Vom fliegenden Holländer in Weimar hat mir Frau Prof. V<ischer> erzählt. Einen Abend waren wir bei ihrem Vater, Romundt und Overbeck auch.
Der Kopf schwirrt mir ein Bischen, es fällt mir gar nichts Neues mehr ein, als daß ich wohl bin, nur öfter einmal an Augenschmerzen laborire. Für den Sommer müssen wir uns gute Bergluft mit grünen Matten verschaffen. Mir schwebt immer die Engst<l>enalp vor, oder noch einmal das Maderanerthal. Die Entscheidung muß Ende Mai spätestens gemacht sein, denn die Schweiz rüstet sich, wegen der Wiener Weltausstellung, auf sehr viel Fremdenbesuch.
Nun laßt es Euch recht gut gehn und nehmt die herzlichsten Grüße an von
Eurem
F.