1873, Briefe 287–338a
305. An Richard Wagner in Bayreuth
Basel Freitag. <26. April 1873>
Verehrtester Meister
ich habe eine kleine Bitte, und diese bezieht sich auf den Verleger Fritzsch. Wir sprachen über die Art, wie der Verlag desselben sich allmählich erweitern werde und dürfe, und schon heute habe ich das merkwürdigste Beispiel, was für Schriften und Autoren sich an den bisherigen ersten Ring ansetzen möchten. Mein Freund Overbeck ist mit seiner Schrift „über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie“ fertig und hat, auf mein Anrathen, bei Fritzsch einen Antrag gemacht, nachdem sein bisheriger Verleger Hirzel sich geweigert hat, aus Rücksicht auf David Strauss, der in Overbeck’s Schrift auch behandelt und nicht mit Sympathie behandelt ist. Ich halte Overbeck’s Characteristik der gegenwärtigen theologischen Parteien für ein Meisterstück und wünsche von Herzen, dass Fritzsch sich überwinden möge, mit dem Worte „Verlagsbuchhändler“ bis dahin Ernst zu machen, dass er auch diese ganz unmusikalische Schrift annimmt. Wir haben uns vergebens nach einem anderen geachteten Verleger für eine so offen-ehrliche und kühne Schrift umgesehen und finden jedesmal, dass die bekannteren Verleger selbst schon theologische Parteimänner sind und zuviel dem „Protestantenvereine“ angehören: so dass für sie diese Schrift unwillkommen genug sein würde. „So muss denn doch die Hexe dran“ wirklich die Noth treibt zu Fritzsch! Es ist recht zum Verwundern!
Meine Bitte geht nun dahin, dass Sie, verehrtester Meister, in dem Falle, dass Fritzsch sich bei Ihnen Raths erholt, ihm einen kurzen Rath und Bescheid geben möchten. Denn ich kann mir wohl denken, in welcher Herkules-Verlegenheit sich der redliche Fritzsch befinden mag, wenn er plötzlich einen theologischen Antrag erhält.
Ich wünsche von Herzen, dass Sie meine Bitte nicht unbescheiden finden mögen. Aus Cöln werden Sie wohl sich gerettet haben; ich denke mir Sie in Ihrer Bibliothek und bei den schönen Einbänden stehen und verspreche Ihnen in der Fritzsch-Overbeckschen Schrift einen stattlichen Zuwachs.
Ihnen und der verehrtesten Frau Gemahlin meine herzlichsten Wünsche!
Ihr Friedrich Nietzsche
Overbeck ist durch eine Reihe streng gelehrter Arbeiten wohl bekannt und sehr angesehen: sein Hauptwerk ist ein Commentar zur Apostelgeschichte. Die neue Schrift hat etwa den Umfang von 6 Bogen.