1877, Briefe 585–674
673. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
Basel, d. 3. Dec. 1877.
Hochgeehrter Herr Verleger!
Ich danke Ihnen für die Geneigtheit, welche Sie mir zu erkennen gaben, auch mein neues Buch, — ich darf wohl sagen: Hauptbuch — in Verlag zu nehmen. Es versteht sich aber von selbst, dass Sie Sich durch diese vorläufige Zusage in keiner Beziehung gebunden fühlen können, da Ihnen meine Bedingungen bisher unbekannt waren. Ich beeile mich nun, Ihnen dieselben mitzutheilen, und zwar, was Sie entschuldigen mögen, in Form von Paragraphen. Vorher aber setze ich den ganzen Titel meines Buches hin; er soll also lauten:
Menschliches Allzumenschliches.
Ein Buch
für
freie Geister.
Dem Andenken Voltaire’s
geweiht
zur Gedächtnissfeier seines Todestages,
des 30. Mai 1778.
Von
Friedrich Nietzsche.
§ 1.
Es werden 1000 Exemplare gedruckt; das Honorar für den Bogen 10 Thaler.
§ 2.
Es wird das selbe Papier verwendet wie in Prof. Overbeck’s „Studien etc.“
§ 3.
In Betreff der Lettern und ihrer Grösse muss ich nach aller Überlegung doch darauf bestehen, dass dieselben wie in den „unzeitgem<ässen> Betrachtungen“ genommen werden. Sie haben es mit einem Autor zu thun, welcher ziemlich bestimmt das Schicksal vor sich sieht, blind zu werden. Nun will ich wenigstens nicht an meinen Schriften blind werden; oder vielmehr, ich will dieselben so lange lesen können, als ich noch einen Schimmer von Augenlicht habe. Sie dürfen mir es nicht verargen, wenn ich in diesem Puncte etwas heikel bin. Überdiess scheint es mir in Ihrem wie in meinem Interesse, dass diese vielleicht allzu gedankenreiche Schrift so wenig als möglich gedrängt und gestopft erscheint. Also 33 Zeilen wie bisher.
§ 4.
Die Schrift wird erst Anfang Mai veröffentlicht: ich muss dringend bitten, diesen Termin einzuhalten. Später darf sie nicht gut erscheinen in Hinsicht auf die Säcularfeier Voltaire’s (30. Mai). Andererseits wünsche ich, dass die Correcturbogen bis Ende März spätestens von mir erledigt sein können, weil ich den Monat April, meiner Gesundheit wegen, von Basel fortgehe und die Correctur nothwendig in Basel, dem gegenwärtigen Wohnsitze unseres Freundes Köselitz’ gemacht werden muss.
§ 5.
Ich bitte um Verschwiegenheit, aus allerlei persönlichen Gründen, und möchte auch, dass der Drucker um dieselbe ersucht würde. Wenn Sie es, eventuell, vorziehen, könnten Sie demselben meinen Namen bis zum Druck des Titelblattes verschweigen. Doch fürchte ich, es möchte diess seine Neugierde reizen und meine Absicht dadurch erst recht vereitelt werden.
§ 6.
Sie werden wieder gebeten, die Frei-Exemplare an die betreffenden Addressen zu befördern.
Über den Umfang des Buches kann ich durchaus nichts Bestimmtes angeben; nehmen Sie immerhin an, dass es die Zahl von 300 Seiten überschreiten möchte. Falls meine Gesundheit nicht zu arg mich im Stich lässt, so bekommen Sie bis zum 1. Januar das Manuscript, mindestens einen Theil desselben.
Zuletzt, werthester Herr, sage ich Ihnen nochmals auf das Aufrichtigste, dass Sie ja nicht glauben dürfen, gegen mich irgendeine Art Verbindlichkeit bereits zu haben. Ich weiss nicht, in welchen Verhältnissen Sie Sich gegenwärtig befinden, und würde es vollkommen verstehen, wenn Sie mir einfach schrieben: ich kann nicht. In diesem Falle müssten wir uns dessen getrösten, dass ich vielleicht noch manches Buch hervorbringen werde, das eines Verlegers bedarf und dass ich mich bei solchen späteren Anlässen Ihrer, wie sich von selbst versteht, immer gern erinnern werde.
Mit vollkommener Hochachtung
der Ihrige
Dr Friedrich Nietzsche.