1877, Briefe 585–674
634. An Hugo von Senger in Genf
Rosenlauibad bei Meiringen, Berner Oberland, 4. Juli 77.
Lieber Freund!
Sie haben ein volles Recht zu schweigen, das ist unter uns ausgemacht; denn wir wissen, dass wir uns gut sind und bleiben und dass Briefe nichts dazu noch davon thun können. Aber eine kurze Nachricht darf ich mir wohl einmal ausnahmsweise erbitten, alles übrige auf ein hoffentlich bald kommendes Wiedersehen versparend.
Ich erzählte Ihnen von einem ausgezeichneten Pianisten, einem wahren Lehrgenie, Dr. Carl Fuchs in Hirschberg (Schlesien), von dem Hans von Bülow gesagt hat, er sei sein bester Schüler. Ist die Möglichkeit noch nicht in Genf eingetreten, diese bedeutende Kraft für das Conservatoire zu gewinnen? Wenn nicht, nun so bitte ich nur darum, den Namen nicht zu vergessen.
Im vorigen Herbst wollte ich Sie sehen, als ich auf meiner Durchreise nach Italien Genf berührte — aber es misslang, ich weiss noch jetzt nicht, warum keine meiner Karten Erfolg hatte. Man wusste mir Ihre Wohnung im Hôtel nicht anzugeben — Sie waren umgezogen. Gar zu gern hätte ich mich Ihrer selber und Ihrer, herzlich von mir zu grüssenden Frau Gemahlin erfreut, Leila und Agenor ja nicht zu vergessen, wenn diese nur den Vetter nicht vergessen haben!
Meine Gesundheit war so schlecht; — ich will nicht jammern. —
Was machen die beiden guten Mädchen, deren Bekanntschaft ich Ihnen damals verdankte? Mit grossem Bedauern hörte ich von einem leidenden Zustande der älteren.
Sie haben doch meine kleine Schrift über Wagner erhalten. Die französ<ische> Übersetzung habe ich an Mad<ame> Diodati abgeschickt, im Anfang des Jahres. Wie geht es ihr, darf man fragen?
Wissen Sie, wohin Frau Koekert diesen Sommer ins Gebirge geht? Ich hörte, sie wolle mit ihrer Freundin, der Marquise Guerrieri, irgendwo in der Schweiz zusammentreffen.
Bemühe ich Sie nicht mit dieser Fragerei? Machen Sie’s kurz mit der Antwort, nehmen Sie eine Correspondenzkarte! Ich ehre den Künstler, ich liebe den Menschen, dabei bleibt es.
Treulich der Ihre Dr. Friedrich Nietzsche.