1877, Briefe 585–674
670. An Carl Burckhardt in Basel
Basel, 17. Okt. 1877.
Hochgeehrter Herr Regierungsrath!
Nachdem ich ein Jahr lang — Dank der Gunst, welche mir durch den verliehenen Urlaub erwiesen wurde — danach gestrebt habe, meine Gesundheit durch alle erdenkliche Schonung und Heilversuche wiederzugewinnen, muß ich am Schluß dieser Frist mir leider eingestehen, daß ich dieses Ziel durchaus nicht erreicht habe; ja eine neuerlich angestellte sorgfältige Untersuchung durch drei Ärzte gab mir die traurige Gewißheit, daß viel schwerere Gefahren vor Allem hinsichtlich meines Augenlichtes im Anzuge seien und daß ich mich noch zu viel eingreifenderen Maßnahmen entschließen müsse. Die Forderung der Ärzte gieng einmüthig darauf hin, daß ich mich auf mehrere Jahre hinaus des Lesens und Schreibens absolut zu enthalten hätte; ich verweise in dieser Beziehung auf ein beigelegtes Memorandum, welches für mich von Dr med. Eiser in Frankfurt a/M, nach gemeinsamer Berathung der drei erwähnten Ärzte, aufgesetzt wurde. Nehme ich noch hinzu, daß mir die Anfälle meines Kopfes ein bis zwei Tage wöchentlich rauben, so sehe ich mich genöthigt, um nur einigermaaßen meinen academischen Pflichten für diesen Winter nachkommen zu können, das Gesuch um fortdauernde Entbindung von meinem Lehramt am Pädagogium an die hohe Erziehungsbehörde zu stellen; vorbehaltlich dessen, daß ich mich höchstwahrscheinlich zu weiteren Entscheidungen über meine gesammte hiesige Lehrthätigkeit gezwungen sehen werde. — Daß ich mit Bedauern von einer Anstalt scheiden werde, an deren Gedeihen ich mit wirklicher Theilnahme fast neun Jahre gehangen habe, werden Sie mir, hochgeehrter Herr Regierungsrath ebensowohl glauben, als daß ich mit Ergebenheit bin
Ihr
Ihnen und der hiesigen Behörde aufrichtig verpflichteter
Dr Friedrich Nietzsche, Professor und Lehrer am Pädagogium