1860, Briefe 124–201
144. An Wilhelm Pinder in Naumburg
<Pforta, Ende April 1860>
Lieber Wilhelm!
Ich muß dir doch wieder einmal ordentlich schreiben; denn es ist mir immer eine wahre Freude im Geiste dir nahe zu sein und mich mit dir zu beschäftigen. Wir haben uns aber auch recht lange nicht gesehen; seit den Ferien nicht wieder. Wie geht es dir denn jetzt? Habt ihr noch immer so viel zu thun? Ich befinde mich im Grunde ganz wohl, bin sehr viel im Freien und erfreue mich am Kegelschieben. Wir sind auch schon mit Hr. Prof. Buchbinder botanisiren gewesen, haben aber noch nicht viel gefunden. Außer verschiedenen Anemonen waren noch sehr wenig Blumen erwacht. Ich aber interessire mich sehr dafür und habe die linneischen Klassen wieder gelernt. Wenn mich nur nicht meine Augen am Suchen und Finden so hinderten! — Wie steht es denn mit deinem Vorhaben? Hast du mehere Scenen schon wieder vollendet? Obgleich ich mich mit meinem Plan sehr oft im Geiste beschäftige, auch ein paar Scenen in Reimen verfertigt habe, so sehe ich doch, daß die Ausführung bis zu den Hundstagen darnieder liegen muß. Zeit und Einsamkeit fehlt mir in Pforte doch sehr! — Könnten wir uns doch bald sprechen? Nicht wahr, zum Schulfest, das ist der 21 Mai kommst du heraus? Das wäre doch sehr hübsch. Ich hoffe übrigens dies mal nicht wieder vortragen zu müssen, da ich schon am vorigem Mal die Ehre hatte. Meine Primuspflichten sind mir jetzt zwar oft unangenehm und lästig; (denn es giebt in Pforta noch eine Menge anderes zu thun als die Klasse in Ordnung halten und das Klassenbuch zu führen) aber im Ganzen kommen sie mir doch nicht so schwer an, wie ich beim Beginn des Semesters glaubte. Der Mensch gewöhnt sich doch an alles! —
Dann lieber Wilhelm schreibe mir doch nächstens, ich habe nämlich einen Plan und da will ich hören, ob du damit einverstanden bist. Unsre Pfingstferien beginnen den zweiten Pfingstfeiertag nach der Frühkirche also um ½ 11 Uhr. Wollen wir da nicht eine kleine Rudelsburgparthie zusammen unternehmen? Um uns aber nicht fehl zu gehen werde ich bis ½ 12 Uhr in der sechsten Stube warten und dann wollen wir zusammen fortgehen. Nun ich hoffe wir sehen uns bis dahin noch einmal! Da wollen wir das genauer besprechen!! Nun leb recht wohl, lieber Wilhelm, grüße Gustav viele mal von mir und schreibe bald
an Deinen Freund
FW. Nietzsche Semper
nostra manet amicitia!