1860, Briefe 124–201
142. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Pforta, 22. April 1860>
Liebe Lisbeth!
Ich schreibe dir heute auch wieder einmal, meine liebe Lisbeth! Denn ich bin dir noch aus vorigem Semester einen Brief schuldig. Wie geht es dir denn jetzt? Wir haben uns recht lange nicht gesehn und gesprochen, seit den Ferien noch nicht, ja, wir werden uns wahrscheinlich erst nächsten Sonntag sehen. Denn heute ist in Pforta Communion und deßhalb fällt der Spaziergang aus. Wir werden aber auf die Berge und Wälder von den Lehrern geführt, was man „Naturkneipen“ zu nennen pflegt. Viel lieber wäre es mir freilich, wenn ich heute ein paar Stunden nach Naumburg gehen könnte!
Sonnabend vor 8 Tagen gingen wir mit Hr. Dr. Franke auf die Rudelsburg. Als Primus mußte ich auch besonders mit für die Unterhaltung sorgen. Als wir oben angelangt waren, sangen wir mancherlei und bestiegen dann auf den Rückweg mehre steile Höhen, wobei sich Hr. Dr. Franke sehr freute, wenn mehre vor Mattigkeit kaum heraufkamen. — Unser neuer Lehrer H. Dr. Heinse ist immer noch nicht angelangt. Unsere Lecktionen sind in voriger Woche deßhalb vielfach verändert worden. — Pfingsten ist nun nicht mehr allzu ferne; wenn auch die Ferien sehr kurz sind, es ist doch besser als gar keine wir wollen sie schon ordentlich genießen. Kommst du denn die Hundstage noch mit zum Onkel Edmund? Das wäre doch sehr hübsch. Auf jeden Fall bleib ich aber bis zum 10ten Juli, deinen Geburtstag noch in Naumburg; ich bin ja sonst gar nicht zu Hause und da ist es doch am allerschönsten. —
In Betreff meines Trauerspiels ist sehr wenig zu Stande gekommen, ein paar Proben von einigen Scenen in Reimen folgt hier:
a)
1 Soldat.
Ich habe die verwünschte Flucht nun satt,
Bin an allen Gliedern steif und matt,
Und kann kaum mehr die Beine tragen.
Nun soll mir mal einer sagen:
Wo soll das denn eigentlich hinaus?
2. „
Mit der Frage bleib mir zu Haus.
Man sagt, fürs große Perserreich.
Das wäre im Grund mir furchtbar gleich.
Wenns nicht meine eigene Rettung galt,
Ich lebte längst von fremden Geld.
In lauter Herrlichkeit und Freuden.
1 „
Kammerad laß dich bedeuten!
Da sind wir im Grunde rechte Thoren.
Haben uns das schlimmste Theil erkoren,
Hatten wir in der Heimath nicht viel mehr,
Als hier unter Darius Heer?
Und könnte es wohl was schönres geben,
Als bei Alexander zu leben.
Wo klein die Gefahr, groß der Genuß,
Alles überhaupt im Ueberfluß usw.
b)
Narbazanes.
Wir haben ihn doch zu weit gebracht!
Nun ists aus! Nun Krone, gute Nacht!
Bessus.
Wer wird auch gleich den Muth verlieren,
Wollens doch erst beim Heer probieren,
Und das ist bald herumgewandt,
Denn die Treue ist kein so festes Band
Daß Güte und Geld und große Versprechen
Sie nicht noch — das glaub’ mir — vor Abend brechen.
Narb.
Laßt uns aber vorsichtig verfahren
Man kann nicht traun den griechischen Schaaren,
Und besonders nicht Patron, den rohen Bau<er>
Wenn ich den seh überläuft mich ein Schauer.
An den geht unsre Verschwörung zu nichte.
Der weiß, das glaub mir, die ganze Geschichte
usw.
usw.
Nun habe ich an dich noch die Bitte, daß du die Mamma bewegst mir ja morgen Vorhemdchen und Stahlfedern zu senden, da ich beides zu nothwendig brauche. Nun leb recht wohl! Schreib mir auch bald einmal! Denke oft
an deinen dich liebenden Bruder
FWNietzsche
Also Löschblätter, Stahlfedern, Vorhemdchen, Pomade brauch ich noch. —
Viele Grüße an die liebe Mamma und den Onkel. Nächsten Sonntag bei guten Wetter in Almrich! Spaziergang von 4—6 Uhr.