1878, Briefe 675–789a
721a. An Reinhart von Seydlitz in Salzburg (Entwurf)
Können Sie mir jenes Gefühl — das unvergleichbare — nachfühlen, zum ersten Male öffentlich ein Ziel bekannt zu haben, das Keiner sonst hat, das fast niemand verstehen kann und dem nun ein armes Menschenleben genügen soll? — So werden Sie es verstehn, wenn ich in diesem Jahre Einsamkeit brauche — sobald mein Beruf (und das Sommersemester der Universität mich frei giebt.) Kein Freund — niemanden will ich dann — es ist nöthig. Nehmen Sie es, bitte, ohne Erörterung hin.
Ein Wort Ihres guten Briefes hat mich fast erschreckt. Sind Sie wirklich je in Ihren Gedanken den furchtbaren Weg mit seinen via mala-consequenzen gegangen — gehen Sie ihn nicht wieder! So gut ich Sie kenne — aber vielleicht kenne ich Sie viel zu wenig — möchte ich mir zu sagen erlauben: Ihre Lebensstellg., u. Ihr Temperament sind dafür nicht gemacht: Unzufriedenheit u. Qual wäre Ihr Loos u. — niemand hätte den Nutzen davon.
Der gute Lipiner — Eigentlich hat er sich durch seine wiederholten Versuche aus der Ferne her über mein Leben zu disponiren und durch Rath und That in dasselbe einzugreifen, bei mir unmöglich gemacht. Solche Menschen verabscheue ich, soweit ich dieser Empfindung fähig bin. Mangel an Scham — das ist es. Von so einem möcht ich sehr fern sein, ich verstehe es dann ganz gut, sein Freund zu werden, aber in partibus.
Meine gute Schwester liest jetzt das Buch, ist aber fern davon, ein böses Gesicht zu machen. Sie hält die Partien, auf welche Sie anspielen, für richtig. Die abnormen Bedingungen, unter den<en> wir Beide uns entschlossen, eine zeitlang zusammen zu leben, haben mit ihnen gar nichts zu thun.
Wir haben sehr darüber gelacht, daß Sie so etwas vermeint haben. Ich glaube daß alle Frauen sich beim Lesen solcher Dinge Glück wünschen würden, keine Freigeister zu Männern zu haben — und so meinte ich das eheliche Glück im Allgem. gefördert zu haben. — Nichts liegt mir entfernter als Proselyten zu machen; niemand hat so wie ich vor dem Freigeiste gewarnt und zurückgeschreckt.