1878, Briefe 675–789a
676. An Richard und Cosima Wagner in Bayreuth (Entwurf)
<Basel, Anfang 1878>
R<ichard> W<agner> und Fr<au>
Indem ich — übersende, lege ich mein Geheimniß vertrauensvoll in Ihre und Ihrer edlen Gem<ahlin> Hände und nehme an daß es nunmehr auch Ihr Geh<eimnis> sei. Dies Buch ist von mir: ich habe meine innerste Empfind<ung> über menschliche Dinge darin ans Licht gebracht und zum ersten Male die Peripherie meines eigenen Denkens umlaufen. In Zeiten, welche voller Parox<ismus> und Qualen waren, war dies Buch mein Trostmittel, welches nicht versagte, wo alle anderen Trostm<ittel> versagten. Vielleicht lebe ich noch, weil ich seiner fähig war.
Es mußte <ein> Pseudon<ym> gewählt werden, einmal weil ich die Wirkung meiner früheren Schriften nicht stören mochte, sodann weil die öffentl<iche> und private Beschmutzung der Würde meiner Person damit verhindert werden soll (weil meine Gesundheit dergleichen nicht mehr aushält) endlich und namentlich, weil ich eine sachliche Diskussion möglich machen wollte, an der auch meine so intelligenten Freunde aller Art theilnehmen können, ohne daß ein Zartgefühl ihnen wie bisher dabei im Wege stand. Niemand will gegen meinen Namen schreiben und reden. Aber ich weiß keinen von ihnen, der die Ansichten dieses Buches hätte, bin aber sehr lernbegierig in Bezug auf die Gegengründe, welche in diesem Falle vorzubringen sind.
Mir ist zu Muthe wie einem Offizier der eine Schanze gestürmt hat. Zwar verwundet — aber er ist oben und — entrollt nun seine Fahne. Mehr Glück, viel mehr als Leid, so furchtbar das Schauspiel rings herum ist.
Obschon ich wie gesagt niemanden kenne, der jetzt noch mein Gesinnungsgenosse ist, habe ich doch die Einbildung, nicht als Individuum sondern als Collektivum gedacht zu haben — das sonderbarste Gefühl von Einsamkeit und Vielsamkeit. — Herold vorangeritten, <der> nicht genau weiss, ob die Ritterschaft ihm nachkommt oder ob sie noch existirt.