1863, Briefe 340–403
396. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Gorenzen
<Pforta, 10. November 1863>Dienstag. Abends.
Liebe Mamma und Lisbeth!
Unmöglich konnt’ ich eher schreiben, denn vorige beiden Wochen habe ich an einer größern Abhandlung zu schreiben gehabt, die mir selbst meine Mußestunden wegnahm. Habe mich aber um so mehr über euren Brief gefreut, der mitten hineinkam und mich auf Weihnachten vertröstete. Das ist nämlich auch der einzige Trost, wofern mitunter einer nöthig sein sollte. Denn im Allgemeinen schwimme ich mit Wohlbehagen in meinen Studien und lebe ganz gut wie eben ein Fisch in seinem Element oder nach Lisbeths poesievollem Ausdruck, wie ein „Thierchen“ in seinem Revierchen oder Plaisirchen.
Das heißt, um es voller auszudrücken: das Wetter — nun gut — das gefällt mir; natürlich, denn es ist kalt, darum gemüthlich; mitunter regneri<s>ch und schmutzig, viel gelbes Laub und schon keine Weintrauben mehr, kurz keine Herbststimmung, die mitunter zu poetisch, musikalisch und rosa anläuft. Lisbeth wird mich verstehen: ich spreche von rothen Uniformen, nicht wahr, mein —
Martinsgänschen haben wir heute gegessen, zum Erbarmen dürr, sie hatten so lange geschrieen, bis sie wahrscheinlich die Auszehrung bekamen und wir sie vollends aufzehrten.
So weit vom Wetter. Nun von Wichtigerem. — Zuvörderst nicht zu vergessen, daß meine Stiefeln in Stande und meine Füße darum trocken sind. Dagegen stehn der Hr. Rektor und ich in gutem Einverständniß.
Es friert draußen, ich habe einen Shawl um den Hals gewunden, um mich herum ist es ziemlich stille, einige Jungens flüstern leise. Voriges Jahr war an diesem Tage Sturm und rechtes Spätherbstwetter; heute ist es still winterlich, nebelig, die Lampen und die Sterne flackern trübe. Wichtige Ereignisse wollt ihr wissen? Oder wenigstens von meinem Leben? Innerlich, äußerlich? Nun ich habe es gethan und euch schon alles gesagt. Draußen friert es, drinnen im Stübchen ists gemüthlich warm, und ich könnte Verse machen. Genug.
Weihnachten — ja auf das Waldleben im Winter und einige größere Ausflüge, darauf freue ich mich. Im nächsten Jahre erleben wir es nicht zusammen, das gute Fest. Die Hinreise soll ebenfalls gemüthlich werden, den ersten Tag bleibe ich in Naumburg, am Mittwoch reise ich fort und will sehn, wann ich ankomme. Nach Erfurt reise ich nicht. — Wünsche für Weihnachten? Nun darüber schreibe ich euch noch einmal. Es sind noch 6 Wochen. Schreibt mir nur recht bald einmal. Das betreffende Buch von Domrich ist immer noch nicht richtig angekommen.
Ich habe in vorigen Wochen eine etwas weitläufige Untersuchung über die Ermanarichsage geführt und dazu viel in alten hohen Schweinslederbänden und Chroniken herumgewühlt. Es ist ein Werkchen von sechzig Seiten geworden. —
Ich will nur gleich herschreiben, was ich mir wünsche, es ist so besser. 1.) Grand Duo von F. Schubert, vierhändig. 2) Düntzer, Goethe’s lyrische Gedichte. So.
Nun lebt recht, recht wohl und grüßt den lieben Onkel vielemal von mir. Ich möchte gern ausführlicher schreiben. Habe aber keine Zeit. Aber bitte, schreibt mir bald einmal.
Euer Fritz.
Ein anderes Buch, das ich übrigens sehr nothwendig brauche, ist „Aeschylos, übertragen von Minkwitz.“ Zu meiner großen freien Arbeit für mein letztes Semester brauche ich dies. Also wählt aus, was euch lieb ist. Euer Fritz.