1863, Briefe 340–403
355. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Pforta, 11. Mai 1863>Montag
Liebe Mamma!
Wie gern hätte ich dir im Lauf der Woche Nachricht zukommen lassen, wie es mir geht; aber du glaubst nicht, wie man auf der Krankenstube abgeschnitten lebt. Wie selten kommt ein Mensch herüber und nun gar bei dem schönen Wetter. Dazu keine Schreibmaterialien da. Bis Donnerstag habe ich noch zu Bett gelegen, es eiterte im Ohr ganz tüchtig und eitert noch. Täglich wird eine Art Thee eingespritzt. Hinter dem Ohr haben sich drei kleine Schwären gebildet. Die Nächte habe ich noch recht zu leiden, es ist überhaupt wohl die schmerzhafteste Krankheit, die ich gehabt. Schnupfen habe ich immer noch, aber sonst bin ich viel wohler, wenn auch noch recht matt. Ich gehe jetzt etwas in der Sonne spazieren und kann auch wieder arbeiten. Ich höre aber noch recht schlecht und sehe auch noch nicht so wie gewöhnlich aus. Appetit habe ich auch wieder. Die ganze Woche habe ich mich recht nach Euch gesehnt, schreiben kon<n>te ich nicht und war so allein immer.
Morgen will ich den Dkr fragen, ob ich herübergehn kann. Ich freue mich recht aufs Schulfest; wenn ich es nur recht genießen kann. Gestern habe ich einen hübschen Brief vom Onkel Edmund bekommen, der euch und Onk. Theobald herzlich grüßen läßt. Er wird in der Woche nach dem 3 Juni kommen.
Schreibt mir vor dem Schulfest ja noch. Und dann brauche ich nothwendig noch Geld, so auf der Krankenstube wie zum Schulfest.
Lebt recht wohl! Viel Grüße an Lisbeth und den Onkel. Vielleicht komme ich Mittwoch nach Tische, wenns nicht zu heiß ist nach Naumburg.
In herzlicher Liebe