1863, Briefe 340–403
377. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Pforta, vermutlich 11. September 1863>Freitag, früh um 5 Uhr.
Meine Grüße voran!
Siehe, ich bekam ihn am Schopfe, nämlich deinen Brief, las ihn und lachte und als ich ihn ausgelesen, lachte ich noch einmal. Also förmlich entsetzt bist du gewesen, weil ich nicht wie gewöhnlich über schmutzige Strümpfe, allerlei Wünsche meines Magens und meiner Kasse und ähnliche saubere Gegenstände, die dir meine Briefe immer so theuer machen, geschrieben habe, sondern weil ich in einem Selektatöchterschulenstyl, in sentimentalen, haarsträubenden Phrasen, den Wunsch aussprach, mir einige Noten zu besorgen: gewiß ein bescheidener Wunsch, der mir aber doch nicht in Erfüllung gegangen.
Es thut mir leid, dir Schrecken gemacht zu haben, und ich will es gewiß nicht wieder thun, besonders wenn ich befürchten muß, daß du aus Schrecken über das Ungeheuerliche des Briefes seine Pointe ganz vergißt.
Wir haben gestern schlechtes Fleisch zu Mittag gehabt und werden morgen Klöse essen.
Der eine meiner Stiefeln hat eine Oeffnung, welche man ein Loch zu nennen pflegt.
Heute fand man im Primanergarten einen Vogel, der schon der Verwesung nahe war. Es war ein Spatz. Er duftete.
Wenn es regnet, so wird es naß und wir haben keinen Spaziergang. Trotzdem hatten wir heute Spaziergang.
Beiläufig bin ich ein „ehrwürdiger Primaner, du eine ehrwürdige Schwester und Domrich ein Buchhändler.
Und indem wir alle drei dies
verbleiben,
empfehle ich mich.
N.B. Ich hatte eben „Wäsche“, und bin nicht in der Stimmung, dir so gefühlvoll zu antworten, mein „Herzenslieschen, Zuckersüßchen, Mietzemieschen“,
N.B. alles umschlossen von „Gänsefüßchen“.
Frédéric.