1862, Briefe 292–339
331. An Franziska Nietzsche in Merseburg
<Pforta,> Montag 25. 8. 62.
Liebe Mamma!
Du kannst dir vorstellen, wie mich des lieben Onkels großes Unglück erschreckt hat; versichere ihn und die liebe Tante meines herzlichsten Beileides; ich möchte so gern ihm irgend einen Dienst erweisen, ich weiß aber gar nicht, was ich thun könnte. Auf der andern Seite muß ich ja auch meine Glückwünsche bringen zu der Vermehrung seiner lieben Familie; wie seltsam doch Glück und Unglück aneinander grenzt!
Leider Gottes bin ich jetzt wieder einmal von meinen fatalen Kopfschmerzen heimgesucht und befinde mich deshalb schon seit einer Woche auf der Krankenstube. Der Herr Doktor hat mir heute also gerathen und erlaubt, nach Naumburg zu reisen und dort meine Wasser- und Spaziergehecur vorzunehmen. Ich gehe also heute Montag Mittag nach Naumburg und wohne in unserm Logis, um dort ein ganz stilles Leben ohne alle Musik und sonstige Aufregung zu führen. Hr. Dr. hat mir die nöthigen Diätvorschriften gegeben Du brauchst also in keiner Weise Sorge für mich zu haben und auch keineswegs von Merseburg, wo du sicherlich sehr nöthig bist, fortzureisen. Vielleicht ist gerade ein Leben, das ich ganz allein führe, für mich das allerbeste. Also bitte, ängstige auch nicht, liebe Mamma, wenn ich alles vermeide, was mich aufregen kann, werden ja die Kopfschmerzen schwinden; aber ich denke jetzt etwas länger fortzubleiben, damit womöglich ich sie mit Stumpf und Stiel ausrotte.
Ich freue mich übrigens sehr auf dein und Elisabeths schließliches Kommen, das ich doch wahrscheinlich mit erleben werde. Ich wünsche nur, daß ihr alle recht gesund seid, das ist mein inniger Wunsch.
Dein Dich herzlich liebender
FWNietzsche
Meine Lebensweise wird die Sache der Tante Rosalie sein, ich trinke übrigens Bitterwasser und ein Kühlungspulver; das Unangenehmste ist mir die häufige Aufregung, in die ich gerathe. —