1862, Briefe 292–339
296. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Pforta, Ende Februar 1862>
Liebe Mamma!
So hast du nun die liebe Lisbeth auf lange Zeit fortgebracht, die sich gewiß recht zurücksehnen wird und sich wenig heimisch in dem großen Dresden wissen wird. Du selbst hast dort gewiß einige schöne Tage, besonders in Rückerinnerung an vergang’ne Zeiten erlebt; denn durch die Zeit wird alles theuer, was uns einmal in Freude und Erstaunen versetzt hat. Und schwer wirst du von Dresden und Lisbeth geschieden sein — das weiß ich recht wohl. — Wie es nun mit ihren Verhältnissen steht, davon weiß ich gar nichts; schreib’ mir recht lang und ausführlich, wie wir uns überhaupt etwas ausführlicher schreiben können, da du weniger Zeit zur Wirthschaftsbesorgung verwenden brauchst. Wenn sie nur in eine recht vornehme Pension untergebracht ist! Mir will Dresden nicht recht gefallen, es ist nicht großartig genug und in seinen Eigenheiten, auch in Sprache den thüringischen Elementen zu nahe verwandt. Wäre sie z. B. nach Hannover gekommen, so hätte sie völlig verschiedene Sitten, Eigentümlichkeiten, Sprache kennen gelernt; Es ist immer gut, wenn der Mensch, um nicht einseitig zu werden, in verschiedenen Regionen erzogen wird. Sonst als Kunststadt, kleine Residenz, überhaupt zur Ausbildung von E<lisabeths> Geist wird Dresden völlig genügen und ich beneide sie gewissermassen. Doch glaube ich, in meinem Leben noch viel dergleichen genießen zu können. Im Allgemeinen bin ich begierig zu hören, wie sich Elisabeth in ihren neuen Verhältnissen macht. Ein Risiko ist so eine Pension immer. Aber ich habe viel gutes Zutraun zu Elisabeth. — Wenn sie nur noch hübscher schreiben lernte! Auch wenn sie erzählt, muß sie diese vielen „Ach“ und „O’s“ Du kannst gar nicht glauben, wie herrlich, wie wundervoll wie bezaubernd usw das war“ das muß sie weglassen. Und so vieles, was sie hoffentlich in feiner Gesellschaft und bei größerem Aufpassen auf sich selbst vergessen wird. — Nun, liebe Mamma, Montag kommst du doch heraus? 4—7 ist die Aufführung. Hr. Dr. Heinze habe ich um Billet angesprochen. Einen großen Gefallen thätest du mir, wenn du mir etwa ½ Mandel Eier und Zucker heraussendetest, da zu unsern Proben, täglich zwei mal, und am Haupttage drei mal eine solche Stimmenreinigung unumgänglich nöthig ist. Lebe recht schön wohl, liebe Mamma!
Dein Fritz.
Zum Lesen, wofür Du viel Zeit nun haben wirst, schlage ich dir Auerbachs „Barfüßele“ vor, was mich hoch entzückt hat. —