1862, Briefe 292–339
325. An Elisabeth Nietzsche in Dresden
Gorenzen 28 Juli 62.
Liebe Lisbeth!
Die erste Hälfte deines Namens mit dem wohlgelungenen Klecks in der Mitte datirt noch von meinem vorigen Brief; das Blatt benutzte ich aus Mißmuth über solche Verunzierung nicht weiter. Jetzt wird es mir bei dem gegenwärtigen Briefpapiermangel wieder zugeschoben und ich benutze es um darauf eine Fortsetzung meines vorigen Briefes zu geben. Ich weiß nicht, ob ich dir schon von unsrer Kiffhäuserparthie schrieb; gleichviel, sie war niedlich. Viel erlebt habe ich hier überhaupt nicht, ohne mich dabei gelangweilt zu haben. Mamma wird dir schon alles mittheilen. Wir sind viel spazieren gegangen — wie du wahrscheinlich auch bei dem schönen Wetter. Ich habe viel Klavier gespielt, wie du wahrscheinlich auch bei deiner neuen Lehrerin; ich schicke dir nächstens ein paar leichte Kompositionen von mir. Wie hübsch, wenn du mir sie später in Naumburg vorspielen kannst. Du kannst dir selbst aus meinen ungarischen Skizzen auswählen, was du haben willst. Die fertigen Stücke sind: Heldenklage, Nachts auf der Haide, Haideschenke, Zigeunertanz, Heimweh usw.
Auch gedichtet habe ich. Wenn du wieder kommst, habe dir manches zu zeigen.
Denke Dir, neulich ist hier der Onkel von einem Zimmermeister um eine Richtrede gebeten worden; da habe ich denn ein Richtgedicht gemacht, woran jetzt der Meister fleißig büffelt.
Nun sind die lieben Ferien bald wieder vorüber — heute geht in Naumburg das Kirschfest an. Ich möchte ganz gern da sein. Meine Freunde habe ich die Ferien gar nicht genossen. Wir haben sie mehere Tage in Gorenzen erwartet, sie machten nämlich eine Harzreise, und Wilhelm schrieb, daß sie durchkommen würden. Sie kamen aber nicht. — Wenn du nur erst nach Naumburg kommst, das wird famos. Wir leben hier gar nicht mehr recht in der Gegenwart, besonders im Bezug auf die Zukünftigkeit des Onkel Edmund. Ich phantasiere öfters Abends auf dem Klavier über derartige, nicht zu ferne Ereignisse, wobei sich Onkel und Mamma mit der Deutung abplagen. Im Ganzen sind wir sehr lustig und vergnügt und denken oft an dich. Nun hoffe ich aber auch, daß du bald etwas genaues von dir hören läßt. Denn neugierig sind wir nun einmal!
Nämlich ich,
Dein Fritz.