1865, Briefe 459–489
489. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Leipzig, vermutlich 9. Dezember 1865>
Liebe Mama und Lisbeth,
Ich muß mich entschuldigen, daß ich so spät schreibe; aber es gieng nicht anders an. Weshalb, das wird Euch beim Ende des Briefes deutlich sein.
Um zuerst den Sonntag zu berühren, so muß ich Euch für Eure schönen Vorbereitungen und für das Gelingen dieser angenehmen Zusammenkunft meinen besten Dank sagen. Wenn Ihr schreibt, daß die Damen sich dabei wohlbefunden haben, so kann ich dasselbe auch von meinen Freunden sagen. Sie haben mir dafür gedankt, obgleich ich dabei keinen Dank verdient hatte. Gersdorff hatte Clara Krug als verständig und gebildet, allerdings unschön gefallen. Der Vetter hatte sich natürlich amüsirt. Mushacke auch, der es aber nicht auszusprechen pflegt. Mir thut Ihr einen größeren Gefallen, wenn Ihr die vielen fremden, mir überaus gleichgültigen Wesen weglaßt, damit ich nicht zu Hause, wo man sich gemüthlich erholen will, zu einem kalten Conversationston genöthigt bin. Nehmt mir dies aber nicht übel; denn ich weiß, daß Ihr alles unternommen habt, um mir ein Vergnügen und eine Abwechslung zu gewähren. Dafür danke ich Euch denn herzlich.
Ich fahre fort. Der Montag verlief bis zum Nachmittag regelmäßig. Da aber fand ich heimkehrend aus dem Colleg ein Billet von Geh. Rath Ritschl, das mich zum Thee einlud. Der Abend war genußreich und anregend. Die Frau Pr. ist eine höchst gelehrte Frau im besten Sinne des Wortes. Sehr gut hat mir sodann die Tochter, die Ida R. gefallen. Wichtig ist mir der Abend deshalb, weil der alte Ritschl uns zur Gründung einer philolog. Gesellschaft vermochte. Das beschäftigt uns gegenwärtig.
Mittwoch Morgen bevor Euer Brief ankam, kam Rudolf zu mir und forderte mich auf Mittag mit ihm und Patzens nach Colditz zu fahren, wo Donnerstag früh Taufe sein sollte. Ich entschloß mich sogleich. Wir fuhren bis Grimma und dort blieben R<udolf> und ich, besichtigten die Schule und logierten in einem scheußlichen Gasthof. Am andern Morgen giengen wir die drei Stunden und trafen um 11 in dem Diakonat an. Kurz darauf kam Hr. v. Reißwitz und Frau. Das Kind wurde in der Kirche getauft, der Name ist Eva Maria. Die Rede war recht herzlich und beredt. Dann großes Festessen, zu dem noch der Pastor und der Kirchner kamen, Abends waren wir in der Gesellschaft und hörten ein abscheuliches Conzert. Rudolf tanzte. Am andern Morgen waren wir mehere Stunden auf der Irrenanstalt. Mittags fuhren wir zusammen wieder ab und kamen Abends in Leipzig an.
Endlich habe ich also Zeit Euch Nachricht von mir zu geben. Also Ihr reist nicht zusammen nach Gorenzen. Sollte es wirklich in Gorenzen passen, wenn ich morgen über 8 Tage mit Lisbeth dahin reiste? Ich kann mirs nicht denken. Denn das Kind scheint ein Festgeschenk werden zu wollen. Also bitte, darüber genaue Nachricht! Vielleicht könnten Lisbeth und ich zusammen noch eine Zeit in Naumburg verweilen.
Ich schreibe Euch sogleich, was ich mir zu Weihnachten wünsche. Damit ich selbst aber im Ungewissen bin, so schreibe ich meheres auf:
Pindarus ed. Mommsen. II vol. Berol. 1864.—
Bernhardy, Grundriß der römischen Literaturgeschichte. 4 te Bearbeitung 1865.
Bernhardy, Grundriß der griech. Literaturgeschichte. Der zweite Theil in zwei Abtheilungen 1855 und 1859.
A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena. Dazu: Heim, Schopenhauer und seine Philosophie 1865.
alles wörtlich dem Buchhändler zu bezeichnen.
Jetzt habt Ihr Auswahl. Das zweite und dritte kann man auch antiquarisch beziehn. Es müssen aber genau die Ausgaben vom angegebnen Jahre sein.
Nun lebt recht wohl und schreibt bald einmal Eurem Fritz, der für Eure letzten Briefe seinen besten Dank sagt.
Die Wäsche schickt doch sehr bald, da ich nichts mehr habe.