1865, Briefe 459–489
468. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Bonn Montag früh am 29. Mai 1865.
Liebe Mamma,
Da ich einen Brief von Euch wohl nicht eher erwarten kann als mit dem Beginn des nächsten Monates, so wird es Euch nicht unlieb sein, noch einiges Neues, bevor Ihr mir schreibt, zu erfahren und dann gleich darauf antworten zu können.
Zuerst also bin ich über die Wahl der Universität für nächstes Jahr (v. Michaeli an) entschieden, und ich denke Euch damit eine Freude zu machen. Ich gedenke nämlich nach Leipzig zu gehn und habe alle andern Pläne aufgegeben. Ich weiß nicht, ob Ihr davon gehört habt, daß unser Ritschl nach Leipzig gehen wird; das ist der Hauptgrund. Sodann aber behagt mir Leipzig überhaupt ganz wohl, ich habe Naumburg in der Nähe, ich habe meine Freunde dort. So ist es mir besonders angenehm, daß wahrscheinlich Gersdorff nach Leipzig gehen wird, um dort Literatur und Philologie zu studiren (er schrieb mir einen Brief voller Entrüstung über das Corpsleben und sagte, er betrachte die Existenz darin als eine gewaltige Prüfung, sodann langweilt ihn sein juristisches Studium und drittens, liebe Lisbeth, schwärmt er für problematische Naturen und findet die Zeichnung des Adels vorzüglich) Ich bitte aber über Gersdorff einstweilen Stillschweigen zu halten, weil es noch vom Willen seines Vaters abhängt, ob er Göttingen verlassen darf. Endlich freue ich mich auf die Leipziger Musik und Kunst, wie es mir auch behagen wird, etwas in Familienumgang leben zu können. Was hier total fehlt. Gestern bekam ich einen liebenswürdigen Brief von Rudolf Schenkel; ich danke schön für die Grüße, die ich auf diesem Wege von Dir, liebe Mamma, und von Dir, langumtroddeltes Lama, erhalten habe. Du letzteres Wesen und ich werden also voraussichtlich eine Reise ins Voigtland machen.
Ich habe jetzt viel zu thun, und das wird sich steigern bis zum Semesterschluß. Früh um 7 Uhr besuche ich täglich schon ein philosophisches Collegium. Es ist schön jetzt in Bonn, aber wahnsinnig heiß. Mein Zimmer ist von Mittag an nicht bewohnbar. Ich esse allein und kann jetzt ziemlich zufrieden sein. Nun kommt aber ein sehr wichtiger Punkt und eine alte Klage. Hilf mir hier mit Deinem Rathe, liebe Mamma. Ich halte es jetzt geradezu für unmöglich, das Semester schuldenfrei zu enden, und es giebt nur ein Par-forcemittel, nämlich aus der Verbindung auszuspringen, ein Schritt, der vor der Arndtfeier, dem Stiftungscommers und dem Jenenser Jubiläum geradezu etwas Wahnsinniges wäre. Bitte schreibe mir erstens einmal, wie viel ich in dem Semester im äußersten Falle noch bekommen kann. Ich richte mich so ein, wie es geht. Aber ich habe einestheils noch viel rückständig zu bezahlen, besonders das Klavier vom vorigen Semester und dann macht die Verbindung nicht geringe Ansprüche gerade dieser Feste halber. Ich bitte Dich, so sehr ich kann, mir in der Verbindung zu bleiben die Mittel zu verschaffen, wenn es angeht. Wenn nicht, muß ich mich fügen. Ich habe ja für nächstes Semester die Aussicht, nicht so viel zu verbrauchen.
Dann schicke mir doch diesmal das bestimmte Geld so recht genau zur rechten Zeit, da ich den Termin einhalten muß, also am letzten Mai oder spätestens 1 Juni. Vor allem aber schicke es in preußischen Kassenanweisungen. Du glaubst nicht, was für Unannehmlichkeiten ich mit dem letzt. Gelde hat<te>, erstens fehlte ein Thaler, zweitens wollte es niemand nehmen und beinahe hätte ich noch Strafe zahlen müssen solches Geld zu verbreiten.
Damit der Brief noch fortkommt, endige ich und grüße Euch auf das herzlichste. Schreibt mir recht bald und ausführlich!
Euer Fritz.
Wir haben jetzt unsre Mützenfarben geändert wider meinen Willen. Wir tragen rothe Stürmer.