1867, Briefe 535–558
557. An Friedrich Ritschl in Leipzig
Naumburg am 29 Dez. 1867.
Hochverehrter Herr Geheimrath,
Sie werden Sich wiederholt gefragt haben, warum ich das Laertius-manuscript so lange in Naumburg zurückhalte. Hier meine Antwort darauf: es ist sogleich, als es durch Ihre Güte in meine Hände gelangte, an Dr. Volkmann nach Pforte adressirt worden, von dem es noch nicht wieder zurückgekommen ist. Ein paar Wochen aber nach Weihnachten wird es, begleitet von einem kleinen Aufsatze Volkmanns, seine Rückreise nach Leipzig antreten, um dort Ihrem Willen gehorsam zu sein.
Mit jenem Aufsatze Volkmanns aber hat es folgende Bewandniß. Wir beide sind unabhängig von einander und auf verschiedenen Wegen zu der Einsicht gelangt, welche Bedeutung Demetrius Magnes für die Quellenkunde des Suidas habe. Nun möchte Volkmann gern seinen ihm eigentümlichen Weg dem Publikum vorlegen; mein Wunsch aber ist es, daß dies gleichzeitig mit der Veröffentlichung meiner Arbeit oder auch früher, aber ja nicht — wenn mir eine Bitte freisteht — später geschieht. Es hat eben keiner von uns die Priorität jenes εὕρημα für sich: aber peinlich und bei meiner Freundschaft mit dem vortrefflichen Volkmann geradezu beunruhigend würde mir sein, durch den früheren Druck meiner Arbeit eine scheinbare Priorität für mich zu gewinnen.
Kurz, ich habe Volkmann gebeten, jenen Aufsatz zu schreiben und ihm aus freien Stücken versprochen, meine Abhandlung nicht eher fortzuschicken als bis die seinige — die wie er meint etwa 16 Druckseiten füllen wird — fertig und zum Absenden bereit ist. Das Weitere liegt dann in Ihren Händen, die manchen anderen und schwierigeren Knoten entwirrt haben, als diesen, den freundschaftliche Rücksicht und ein bischen Ehrgeiz geknüpft haben. —
So läuft das alte Jahr zum Schluß, ein Jahr, dessen beste Stunden und Tage für mich immer in Beziehung zu Ihrem Namen stehn. Mag das fröhliche Gestirn dieses Namens auch fürderhin noch lange leuchten, zur Freude der philologischen Arbeiter, denen es Fruchtbarkeit ihrer Äcker und Gelingen ihrer mühevollen Bestrebungen verbürgt.
In treuer Verehrung und
Dankbarkeit und mit
den besten Neujahrs-
wünschen
Friedrich Nietzsche