1867, Briefe 535–558
550. An Friedrich Ritschl in Leipzig
Naumburg 25 Okt. 1867.
Hochverehrter Herr Geheimrath,
Durch einen raschen Griff des Schicksals bin ich außer Stand gesetzt, Ende dieses Monates in Leipzig zu erscheinen; womit zugleich auch meine Promotion in das weite Feld geschoben wird. Was ich nämlich nie erwartet habe, hat sich im Umlauf weniger Tage entschieden; ich bin trotz meiner Kurzsichtigkeit dem Kriegsgotte verfallen und habe jetzt den ganzen Tag vom Grauen des Morgens an bis in die späte Abendstunde bald in den Pferdeställen, bald in der Reitbahn, bald in der Kaserne, bald am Geschütz stark und anstrengend zu arbeiten. Das ist freilich eine neue fremde Speise, deren Bissen mir manchmal zwischen den Zähnen hängen bleiben: besonders wenn ich an die Mahlzeiten gedenke, die ich am Tische der Philologie einzunehmen gewohnt war. Wenn ich aber an diese denke, so fühle ich auch, wem ich allezeit den wärmsten Dank und die herzlichste Verehrung schulde, wessen Vorbild mich für immer auf jener Bahn festhält, von der mich gegenwärtig Unteroffiziere und gezogene Geschütze verscheuchen wollen.
Es versteht sich also, daß ich die indexabfassung, so bald die ersten schwersten Wochen überwunden sind, mit Freuden wieder in die Hand nehmen werde; zu welchem Behufe ich das Museumexemplar gern in Naumburg sehen würde, da ich auf die Dauer das der Domschule angehörige nicht zurückhalten kann noch darf.
So kann ich heute nur mit dem Wunsche schließen, daß Sie Sich so wohl, heiter und kräftig fühlen mögen, als ich Sie nach meinem ersten Plane in Leipzig persönlich zu finden hoffte. Jetzt ist es mir leider durch die harte Ungunst des Mavors, richtiger durch die ἄχαριν χάριν desselben, auf längere Zeit versagt, das Antlitz des Mannes zu sehn, als dessen Schüler ich mich
ergebenst zeichne
Friedrich Nietzsche
Kanonier